Facebook und der Untergang des Abendlandes

Facebook und der Untergang des Abendlandes

In Reaktion auf einen Beitrag, in dem es darum ging, Facebook zu verlassen – weil mir Meinungsfreiheit ein Anliegen ist, wie ich argumentierte – fragte jemand: “Warum nicht Facebook als Instrument nutzen, um etwas Gutes zu tun? Ja, Facebook ist ätzend, aber wenn man es richtig nutzt, kann man immer noch Gutes in der Welt tun, und zwar für Menschen, die man sonst nie erreichen würde. Deine Facebook-Erfahrung ist das, was du daraus machst.”

Die Frage eröffnete eine ganz neue Ebene, die über die Verteidigung der Bürger- und Menschenrechte hinausgeht, die nach meinem Dafürhalten unerlässlich sind, um während des Niedergangs dieser Zivilisation etwas Würde zu bewahren. Ich antwortete, dass er einerseits bis zu einem gewissen Grad Recht hat, wenn er sagt, dass es bei Beton darauf ankommt, was man aus ihm macht, wie der berühmte Werbeslogan behauptet. Aber andererseits sind wir auch für das verantwortlich, woran wir uns beteiligen (und damit unterstützen). In diesem Zusammenhang empfehle ich die Arbeiten von Jerry Mander, der in seinem Buch “In the Absence of the Sacred” argumentiert, dass man die negativen Auswirkungen der Hochtechnologie bei weitem nicht dadurch aufwiegen kann, dass man sie “im Dienste des Guten” einsetzt. Er schreibt,

Diese Gesellschaft pflegt einen ausgeprägten technologischen Idealismus. Wir glauben, dass wir das Beste aus einer bestimmten Technologie herausholen können, ohne in die schlimmsten Szenarien zu verfallen […] Wir halten an diesem Idealismus fest, obwohl wir keine Beweise dafür haben, dass Technologie jemals auf einem optimalen Niveau eingesetzt oder auch nur vernünftig kontrolliert wurde. Dies gilt sicherlich für Automobile, […] für das Fernsehen, […] und für die Erzeugung elektrischer Energie […] Die meisten Technologien werden tatsächlich so eingesetzt, wie es für die Institutionen, die von ihrer Nutzung profitieren, am nützlichsten ist; dies hat nicht unbedingt etwas mit dem Allgemeinwohl oder dem Wohl des Planeten zu tun. – Mander (1992), S. 73-4

    und:

Es ist höchst naiv, wenn Menschen, die sich dafür einsetzen, die Verwüstung des Planeten zu verhindern, über den Computer sprechen, als wäre er neutral; als wäre er für die Dezentralisierung ebenso nützlich wie für die zentralistischen Entwicklungsinteressen. Große Institutionen, die Letzteres anstreben, profitieren weit mehr als die Weltverbesserer, die den Computer für ihr High-Tech-Jiu-Jitsu nutzen wollen. Nur das Verkennen des großen Ganzen und eine gewisse Überheblichkeit, erlaubt es uns, es anders zu sehen. Umweltschützer, Bioregionalisten und andere progressive Aktivisten sollten besser erkennen, dass Computer trotz all der kleinen Vorteile, die sie uns bieten, unsere Bewegungen zurückwerfen. Wir sollten damit beginnen, sie als eigenes dringendes ökologisches und politisches Problem zu begreifen. – Mander (1992), S. 69

Facebook ist nicht erdacht worden, der Menschheit zu dienen, und dasselbe gilt für das Internet als Ganzes. Im Falle von Facebook können Alternativen gewählt werden. Was das Internet angeht, so kann nur die Rückkehr zum realen Leben, zu direkter Kommunikation, zu echten Gemeinschaften und wahren Freunden der Zerstörung Einhalt gebieten, die die elektronische Datenverarbeitung und die Echtzeit-Telekommunikation an unserer Fähigkeit, eine Verbindung zur Wirklichkeit herzustellen, anrichten. Ich will damit nicht sagen, dass es in dieser Umgebung keine Perlen zu finden gibt; selbstverständlich gibt es sie. Besonders dankbar bin ich den Menschen, die ich online getroffen habe oder deren Schriften ich dort gefunden habe, für die vermittelte Inspiration und die Bereitschaft zum Gedankenaustausch.

Aber alles deutet darauf hin, dass Jerry Mander Recht hatte: Die Dinge werden trotz des Hightech-Aktivismus nicht besser. Der Griff des Systems um den Einzelnen (ganz zu schweigen von Familien, Gruppen und ganzen Gesellschaften) zieht sich immer fester zusammen. Die Kluft zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen ist so groß wie nie zuvor in der Geschichte, wie jeder leicht feststellen kann. Was hat der Mann auf der Straße mit den ihm zugänglichen Technologien nicht alles angestellt, um dies aufzuhalten oder umzukehren? Was hat das Posten, Teilen, Kommentieren oder Liken in den sozialen Medien, insbesondere auf Facebook, jemals bewirkt, außer den Aufstieg der “Cancel Culture” zu fördern, die Schaffung von Meinungsblasen und die Spaltung der Gesellschaft? Ganz im Gegenteil, es ist inzwischen offensichtlich, dass die Kluft im Bewusstsein die gleiche Entwicklung nimmt wie ihre sozialen, politischen und finanziellen Äquivalente. 9/11, Corona und jetzt die Ukraine-Krise sind Beispiele dafür, falls es solcher bedarf.

Das kann man natürlich anders sehen; kein Problem für mich. Ich halte es nicht für jedermanns Pflicht, Social-Media-Konten zu kündigen und ich möchte die Sache auch nicht zu hoch hängen. Facebook allein verursacht wohl kaum den Untergang des Abendlandes — und bitteschön, wenn es das könnte, würde ich gern noch ein Weilchen bleiben. Aber das Enttarnen der Mythen unserer Kultur und das sukzessive Abwerfen ihrer Fesseln sind seit mehr als einem Jahrzehnt Teil meiner geschriebenen und gelebten Zivilisationskritik. Jetzt mache ich gerade einen weiteren, überfälligen Schritt auf diesem Weg; einen kleinen, unbedeutenden, technisch einfachen, aber dennoch ziemlich schwierigen – aus all den Gründen, die man vermuten darf. Ich bin ja schließlich nur ein Mensch.

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