„Lasst euch nie mehr mit Gespenstern ein”

„Lasst euch nie mehr mit Gespenstern ein”

“Einst junge Wilde sind gefügig, fromm und zahm
Gekauft, narkotisiert und flügellahm”
[Reinhard Mey, Das Narrenschiff]

Ein neueres Lied von Heinz-Rudolf Kunze wird in den sozialen Medien herumgereicht, das scheinbar Bezug auf das Unrecht des Pandemie-Regimes nimmt: „Die Zeit ist reif“, eine Single-Auskopplung aus dem Album Der Wahrheit die Ehre, das am 21. Januar 2020 erschienen ist – kurz vor Verkündung der Pandemie durch die WHO. Damit ist es natürlich knapp ein bisschen älter, als die Thematik, die uns alle gerade umtreibt. Um so prophetischer klingt, was da gesagt wird:

„Keine Medizin, kein Patentrezept / Helfen, wo die Angst regiert […] Und wir wissen, wohin sowas führt / Die Zeit ist reif für ein riesiges Erwachen.“ [Zitat “Die Zeit ist reif]

Man solle sich nicht mehr mit Gespenstern einlassen, es solle nie mehr so wie früher sein. Sich nicht mehr stumm, taub und blind zu stellen sei Menschenrecht und -Pflicht, heißt es da. Das Lied ist nicht nur ein Dokument für die Vergeblichkeit des Appells an die Vernunft, sondern auch Beweis dafür, wie sehr weite Teile der Intellektuellen nur noch leere Worthülsen und warme Luft absondern. Wo war er denn, der Herr K., in all den langen Monaten, als andere nicht müde wurden, Pest und Ebola herbeizureden und die unmenschlichen Maßnahmen in den höchsten Tönen zu loben? Nun, Herr Kunze sorgte sich um die Einnahmen der Bühnenbranche und ließ durchblicken, dass man sich Mühe mit Hygienekonzepten gegeben hat: Als einer von Deutschlands Chef-Ideologen und Vorzeigelinken gab er Drive-In-Konzerte1 – ging einen Teufelspakt ein, statt die Absurdität anzuprangern, mit der er konfrontiert worden ist. Er hat sich – in den Worten eines anderen seiner Lieder – selbst „Verraten und verkauft“ (Album Draufgänger), ist einer unter „lauter Scheuklappenhändler[n], lauter Schwundautomaten“ geworden, die er dort besingt. Er blieb dabei leider nicht allein. Praktisch die gesamte künstlerische Gesellschaft schwieg zum Kern der Problematik, ließ sich zu Kriegsgefangenen im Feldzug gegen das böse Virus machen. Ausnahmen bestätigen die Regel; Nena, Jule Neigel und Hans Söllner bewahrten Klaren Kopf und reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Die Toten Hosen dagegen „nehmen Rücksicht“ und haben sich während der Corona-Krise in ihre Wohnungen zurückgezogen.2 Rammstein und etliche andere nutzen die durch Konzertabsagen „gewonnene Zeit“ „indem sie an musikalischen Ideen arbeite[n].“3 Und Peter Maffay, der Jahrzehntelang keine Gelegenheit ausließ, mit Lederjacke und Matte bewaffnet den Menschenfreund zu mimen, reagiert nach medialen Rügen wegen eines Seitenhiebs gegen das Maskenregime auf Vorwürfe, Verschwörungstheoretiker zu sein: Er „habe mit den sogenannten Verschwörungstheoretikern nichts am Hut, mit den Corona-Leugnern noch entschieden weniger“; „Tatsache ist, dass wir die hohen Infektionszahlen und die daraus resultierenden Konsequenzen genau denen verdanken, die diese Haltung einnehmen“,4 will er wissen.

Und wie sieht‘s bei den Kabarettisten aus? Liebe Güte. Hagen Rether ist von Aliens entführt und aufgefressen worden – zumindest scheint er wie vom Erdboden verschluckt –, Uthoff nennt #allesdichtmachen in einem Atemzug mit der AfD5 und Pispers… aua.6

Was ich diesen Leuten zur Last lege, ist nicht, dass sie auf den Pandemieschwindel hereingefallen sind; es gab genügend Umstände, die dafür sorgten, dass mancher in der Illusion gefangen bleiben konnte, da tue sich Unerhörtes in unseren Krankenhäusern. Irren ist schließlich menschlich. Was ich ihnen vorwerfe, ist, dass sie die Unmenschlichkeit der Maßnahmen, das Klingeln in den Konzernkassen, die unausgewogene, gleichgeschaltete Presse, die Massenhysterie, die Verfassungs- und Tabubrüche, die Hetze gegen Andersdenkende, Verbalinjurien und offensichtlichen Ungereimtheiten – vielleicht – nicht bemerkt, auf jeden Fall aber nicht thematisiert haben; dass sie ihren Kollegen – denen mit etwas mehr Mumm7 – nicht zur Seite standen, als man sie mit Schaum vor dem Mund verurteilte, mit Entzug der Existenzgrundlage und teilweise mit Gewalt bedrohte.

Wenn ich mir heute ihre Machwerke von früher anschaue bzw. anhöre, muss ich mich fragen, was sie denn da beschrieben, besprochen, besungen oder gezeigt haben, als sie mit Gesellschaft, Staat und Politik scharf ins Gericht gegangen sind; anscheinend nicht das, was ich darunter verstanden habe. Herbert Grönemeyers „Sportpalastrede“ beispielsweise, in der er meinte, es liege „an uns, zu diktieren, wie die Gesellschaft auszusehen hat“8, war zwar entschieden nicht meine Wellenlänge, könnte jedoch unbeugsame Härte gegenüber Freiheitsfeinden vermuten lassen, nähme man ihn beim Wort. Wenn er Mitläufer bezichtigt, „Hart im Hirn, weich in der Birne“ zu sein („Die Härte“ vom Album Chaos), dachte er offenbar nicht wie ich an Gewalt gegen Andersdenkende allgemein, sondern scheint sich in wohlfeilen Angriffen auf Neonazis erschöpft zu haben, denen bestimmt niemand verteidigend zur Seite springen wird.

Funkstsille auch bei Reinhard Mey, einem weiteren traurigen Fall von kognitiver Dissonanz. Unlängst stieß ich auf den Videomitschnitt einer Demonstration, auf der eines seiner Lieder verwendet wurde – nur um kurz darauf erfahren zu müssen, dass „Das Narrenschiff“ nicht eigentlich ein Protestsong gewesen sein kann, sondern wohl eher die Ankündigung des Funkers, dass er eines Tages, wenn er einmal seinem Gewissen folgen müsste, „zu feig, ein SOS zu funken“ sein wird:

“Man hat sich glattgemacht, man hat sich arrangiert
All die hohen Ideale sind havariert
Und der grosse Rebell, der nicht müd wurde zu Streiten
Mutiert zu einem servilen, giftigen Gnom”
[Zitat “Das Narrenschiff”]

So geht es durch die Bank weiter: Barden, Rockpoeten, Pop-Ikonen, Journalisten, Kommentatoren, Kabarettisten, Literaten, Historiker und Philosophen haben einer wie die andere ihre engagierten Texte vergessen und reihen sich ein in ein Gruselkabinett pervertierter Institutionen: Ärzte, die ihre Patienten totspritzen, Ärztekammern, die Ärzten mit Entzug der Approbation drohen, wenn sie daran nicht teilnehmen, Arbeitnehmervertreter, die die Entlassung von ungeimpften Arbeitern richtig finden, alte Menschen, die jüngeren steuermittelfinanziert den „erhobenen Mittelfinger“ zeigen, Politiker, die ihre Wähler der Idiotie zeihen, Wissenschaftler, die die Wirklichkeit nicht wissen wollen, Kleriker, die ihre Schäfchen aus Angst vor dem Tod nicht sehen mögen, Kinderpsychologen, die Kinder traumatisieren, Polizisten, die gegen das öffentliche Bekenntnis zum Grundgesetz vorgehen, Oppositionsparteien, die den Kurs der Regierung unterstützen, Verfassungsrichter, die die Verfassung für überholt halten, Medienschützer, die die freie Rede unterbinden, eine Ausstellung, die nur unter Zwangsmaßnahmen besucht werden kann und auf einem Poster mit dem Zitat: „Kein Mensch hat das Recht, zu gehorchen“ wirbt. Die Liste ist beliebig verlängerbar.

Ganz abgesehen von dem Horror, einer solch widersinnigen Welt bei vollem Bewusstsein ausgesetzt – in ihr lebendig begraben – zu sein, mache ich mir natürlich auch Gedanken, wie das alles weitergehen soll, wenn es tatsächlich gelingt, dem Spuk ein Ende zu bereiten. Nicht eine einzige nationale Institution – keine ! einzige ! – hat aufbegehrt, sondern im Gegenteil haben sie alle fleißig zugetreten, wenn jemand Grundrechte oder – um Himmels Willen – die Würde des Menschen, die Menschlichkeit, das Miteinander, die Wahrheit und Wahrhaftigkeit beeinträchtigt sah; und die Mehrheit der Bevölkerung, Masken fest angeschraubt, blökt munter im Blockwartchor. Vergesst also getrost die oben genannten Namen; sie sind stellvertretend für praktisch die gesamte Gesellschaft. Wie begegnet man Menschen, die sich einst als überzeugte Wahrheitssuchende, Christen, Demokraten, Systemkritiker oder sogar Rebellen gegeben haben, nun aber ihre eigenen Warnungen nicht mehr verstehen und schlimmstenfalls mit dem totalitären Pack heulen? Ich bin ratlos.

Eins ist klar: Unabhängig davon, ob es ihnen gelingen kann, sich glaubhaft aus den Fängen des Dämons zu befreien, von dem sie besessen sind, und unabhängig von meiner Fähigkeit, diese … Episode zu verzeihen – vergessen werde ich die Erfahrung nie, und es ist jetzt schon klar, dass ihre Äußerungen, schriftlich wie mündlich, samt und sonders als ernstzunehmende Quellen ausfallen. Man kann sich vielleicht übers Wetter unterhalten, aber nachdem all die scheinbar klugen Worte von einst sich als unverstandenes Lippenbekenntnis erwiesen haben, als wohlfeile Pose ohne die dazugehörigen Eier in der Hose, als „aufrechter Gang“, dem das Rückgrat fehlt, brauchen wir uns über die wichtigen Dinge im Leben nicht weiter unterhalten. Wir wandeln in getrennten Welten: die einen, die lieber stürben, als sich einen Logenplatz in der Hölle andrehen zu lassen, und die anderen, die sich auch noch darum prügeln, des Teufels Wohlwollen zu erringen.


Weiterführende Links:

1Heinz Rudolf Kunze über die Corona-Krise: “Es ist ganz große Not”, Redaktionsnetzwerk Deutschland, Mathias Begalke, 11.09.2020, s.a. Heinz Rudolf Kunze: Er spielte sein erstes Autokonzert, Gala, 24.5.2020.

2Corona-Angst: Die Toten Hosen machen Mut mit berühmtem Songtitel!: Tag24.de, 28.3.2020.

3Rammstein arbeiten an neuer Musik während der Corona-Krise: Metal Hammer, 15.Juni 2020.

4Peter Maffay wehrt sich gegen Corona-Leugner-Vorwurf: „Leute, entspannt euch“, Redaktionsnetzwerk Deutschland, 7.1.2021.

5Einige schreien grundsätzlich “Mörder!”, Junge Welt, 30.4.2021.

6Volker Pispers: “Aus gegebenem Anlass möchte ich mich an dieser Stelle von allen Coronaleugnern, selbsternannten Querdenkern, AfD-Fans und rechten Extremisten distanzieren.”

7#Allesdichtmachen

8Fundsache: Sie lassen die Masken fallen: Grönemeyers “Sportpalastrede”, Neuronensturm, Sept. 2019.

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