Na wenn das der Papst wüsste!

Na wenn das der Papst wüsste!

Irgendwann Ende Mai, Anfang Juni dieses Jahres begegneten wir uns. Eine Portugiesin, die eine Arbeit darüber scheibt, wie Spiritualität Projektarbeit beeinflussen kann, und die dies am Beispiel von Aktivitäten an Orten wie Tamera und Auroville untersucht. Da wir während der Gartenarbeit mit Rücksicht auf die Regenwürmer nicht all zu tief schürfen durften, sollte ich dann im Interview so richtig die (heilige) Kuh fliegen lassen – am Rande eines Fischbeckens.
Die Unterhaltung war schön, aber das Englisch grausig. Überarbeitung war nötig, damit daraus ein genießbarer Blogeintrag werden konnte. Den folgenden Text darf man also als fiktives Gespräch betrachten, dessen Inhalte zu 90% einer wahren Begebenheit entnommen worden sind.

PP: Danke, dass du dir Zeit für mich und das Interview genommen hast und bei meiner Untersuchung hilfst.
Pax: Danke für die Gelegenheit zur Zusammenarbeit 🙂

PP: Kannst du ein bisschen was zu dir selbst sagen? Alter, Hintergrund, was dich nach Auroville gebracht hat, und was du zur Zeit machst?
Pax: Ich bin 40. Genau 40.

PP: Gratulation (lacht)
Pax: In meiner schwäbischen Heimat bin ich damit automatisch zu einem gescheiten Menschen geworden… Von Auroville habe ich vor zwei Jahren von einem Internetbekannten gehört, der als Volontär hier war und von seinen Erfahrungen erzählt hat. Da ich schon immer gedacht habe: „Es müsste doch so einen Ort geben; das wäre toll“, bin ich natürlich sofort hellhörig geworden.

PP: Kannst du mir ein klein wenig davon erzählen, worum es bei diesem Ort geht?
Pax: Oh, da geht’s um eine ganze Menge (beide lachen); um es auf den Punkt zu bringen: die Manifestation des höchsten Bewusstseins, zunächst einmal aber menschliche Einheit; wobei wir nicht von einer Art Vereinter Nationen reden. Dies soll keine Ansammlung von Individuen aus verschiedenen Ländern sein – du bist aus Portugal, ich aus Deutschland, wir sind vereint – nicht dieser Art. Wir lassen diese künstliche Getrenntheit hinter uns; die Prägung durch unsere Herkunft ist lediglich eine Farbschattierung, die wir dem Ganzen hinzufügen…

PP: Weil wir im Grunde ein und dasselbe sind.
Pax: Ja, Schattierungen desselben; Schattierungen des All-Einen.

PP: Du bist also vor zwei Jahren hierhergekommen? Oder hast du erst eine Weile darüber nachgedacht?
Pax: Damals hatte ich bereits die Hoffnung so ziemlich aufgegeben, dass ich jemals etwas im Leben erreichen würde. Ich meine sowas wie: du ergatterst einen ordentlichen Job, dann gründest du eine Familie, du hast ein schönes Haus, einen Wagen und all das Zeug…

PP: Also hast du all das aufgegeben?
Pax: Ich habe die Hoffnung darauf aufgegeben, denn ich hatte ein klares Gefühl, dass ich es auf die herkömmliche Weise nicht schaffen würde und dass ich das alles sowieso nicht wirklich wollte. Es hätte das Leben in der deutschen Gesellschaft halt wesentlich einfacher gemacht, Geld und Besitz zu haben. So aber habe ich schließlich auch den Versuch aufgegeben, Teil der deutschen Gesellschaft zu sein. Ich wusste nun definitiv, dass ich da niemals reinpassen würde. Doch was sollte ich nun mit mir anfangen? Mich umbringen, einfach sterben? Was sollte ich tun? Ich konnte nicht einfach weiterhin Geld verdienen gehen. Das war völlig unmöglich. Das Wissen um Auroville kam genau zur richtigen Zeit, und so wurde es eine schnelle Entscheidung. Ein halbes Jahr später, im April 2010, kam ich für drei Monate hierher. Es sah völlig anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte, es war gewissermaßen sogar noch besser. Kein Paradies, bestimmt nicht, aber mit einer ganzen Reihe von Möglichkeiten in genau jenen Bereichen ausgestattet, in denen ich aus tiefstem Herzen etwas erreichen wollte. Es gab also bereits diesen Ort, den ich mir erträumt hatte. Ich musste ihn nicht erst gründen. Aber natürlich gleicht Auroville nicht einfach einem gemachten Bett, sondern eher einer Baustelle.

PP: Ja. Du bist also bereit, hier zu „bauen“.
Pax: Sicher, mit ein bisschen Unterstützung, wie man sie in Deutschland kaum bekommt. Ich muss eine Menge lernen. Ich bin schließlich ein zivlisierter Mensch im dem Sinne, als mir das praktische Wissen fehlt, wie ich mich subsistenziell über Wasser halten kann. Zivilisiert heißt für mich, dass man in dieser großen Kultur eingebettet ist, die alles was wir brauchen – oder glauben zu brauchen – gegen Bezahlung zur Verfügung stellt. Wer kann ohne Beihilfe globaler Industrien einen Fernseher bauen, oder einen Computer… oder einfach nur eine Toilette? Wie macht man Schokolade?

PP: Du lernst hier also, wie man Dinge selbst herstellt?
Pax: Richtig, aber es dreht sich nicht um Schokoriegel oder TV-Apparate, sondern die fundamental lebenswichtigen Dinge.

PP. Was arbeitest du in Auroville?
Pax: Ich lebe auf eine Farm, die ich bereits im vergangenen Jahr besucht hatte. Kein Zufall übrigens. die grundlegendsten Dinge im Leben sind Nahrung, frische Luft und Wasser. Sie alle stehen in enger Verbindung zu Bauernhöfen. Pflanzen erzeugen die Luft, die wir atmen, Wasser teilen wir mit den Pflanzen, die wir kultivieren, um Nahrung zu erzeugen.

PP: Du hast eingangs über dein Leben in Deutschland gesprochen. Was hast du da gemacht?
Pax: Ich habe ein Studium und eine Ausbildung in zwei verschiedenen Disziplinen abgeschlossen. Das waren jeweils drei Jahre theoretischen und praktischen Lernens, aber so unterschiedlich die Bereiche waren – bei beiden stellte sich heraus, dass es nicht das war, was ich…

PP: …erhofft hatte?
Pax: Ja. Die Arbeit an sich war ok. Wie sie organisiert war, empfand ich dagegen als Horror. Alles drehte sich nur um Geld. Einerseits fehlten für dringend benötigte Tätigkeiten die Finanzen; sie blieben ungetan. Andererseits tat ich so manches nur um des Geldes willen. Völlig unbefriedigend, unerfüllend. Am Ende habe ich die Flinte ins Korn geworfen.

PP: Wie lange hast du nach den Ausbildungen gearbeitet?
Pax: Nur ein Jahr in Teilzeit. Ich fühlte mich am Ende des Tages völlig ausgelaugt. Später war ich – wiederum in einem anderen Bereich – selbständig. Ich genoss dann etwas mehr Freiheit, aber ich blieb ein Sklave äußerer Umstände. Insgesamt hat es mich 38 Jahre gekostet herauszufinden, dass ich unentrinnbar ein Sklave bleiben würde, solange ich im System blieb. Ich wusste es die ganze Zeit, seit frühester Kindheit. Dieses Leben hatte mir nichts zu bieten, während meine Qualitäten wiederum nicht gefragt waren. Um jedoch etwas dagegen zu unternehmen…

PP: …dich zu befreien?
Pax: Genau. Um mich zu befreien musste ich einen Ausweg sehen. Auroville war ein solcher. Manche tun sich schwer, überhaupt zu erkennen, dass sie in einem Käfig sitzen; für mich war es dagegen schon immer sonnenklar. Alles verriegelt und verschlossen. Keine Möglichkeit sich zu entfalten. Ich habe es körperlich gespürt. Aber was sollte ich mit diesem Wissen anfangen? Ich brauchte eine Tür, die aus dem Gefängnis hinausführt. Als ich sie entdeckte, habe ich nicht lange gezögert. (strahlt)


PP: Bist du der Ansicht, dass Spiritualität auf deinem Lebensweg, bei deinen Entscheidungen, wichtig ist und dich voranbringt?
Pax: Definitiv. Da ich nie wirklich zufrieden damit war, in der Marktwirtschaft zu leben, war ich stets an Ideen interessiert, die nicht wirklich zum Geldverdienen passen. So habe ich z.B. in der Zeitgeist-Bewegung mitgewirkt und mich auch über andere rebellische Bewegungen informiert. All das war interessant, aber eher davon geprägt, auf ein Revolution zu warten, jemand der das Problem für mich lösen würde, denn ich fühlte mich zu klein um etwas zu bewegen. Ich bin nur eine Einzelperson, die gegen praktisch die gesamte Welt stand, aber du kannst halt nicht alle/s bekämpfen. Kampf ist genau genommen eh keine Lösung, aber zu dieser Einsicht muss man erst einmal kommen. Und du gelangst nicht an diesen Punkt, wenn du… hmm… dich an diesem Revolutionsgedanken, dieser Rebellion festklammerst, so wie das junge Leute halt gern tun, weil sie glauben, dass nur Kampf den Ausbruch aus dem System erlaubt.

PP: Stimmt.
Pax: Dass Dagegensein zu nichts führt, kannst du erst begreifen, wenn du für einen spirituellen Pfad bereit bist, egal wie oberflächlich dieser Weg beginnen mag.

PP: Du hast also diesen Teil deines Lebens entwickelt und bist dann nach Auroville gezogen, oder war es anders herum?
Pax: Während ich im Zeitgeist Movement war, war oft von psychologischen Lösungen die Rede, einem Bewusstseinswandel, der zur Errichtung einer neuen Gesellschaftsform notwendig sei. Sie meinten damit nicht den spirituellen Bewusstwerdungsprozess, der schließlich zur Erleuchtung führt, sondern schlicht eine andere Sichtweise, ein anderes Weltbild. Um dies zu untermauern wurde missbräuchlich Jiddu Krishnamurtis Rede von der „wahren Revolution“ zitiert, während die spirituellen Inhalte verneint wurden. Doch seine Worte lösten etwas in mir aus, und so begann ich mich mit seiner Lehre auseinanderzusetzen. Auroville kam kurz danach.

PP: So hat es angefangen?
Pax: Das hat mich vorbereitet, wie den Boden eines Feldes…

PP: Um alles weitere zu empfangen?
Pax: …und meinen Weg zu gehen.

PP: Magst du mir erzählen, was Spiritualität für dich ist?
Pax: Naja, zunächst einmal ist es nur ein Wort, das wir beliebig definieren können…

PP: Sicher, aber ich möchte deine Definition hören.
Pax: Für mich ist Spiritualität die eigentliche, die wahrere Wissenschaft. Sie ist eine Disziplin der Einsicht, der Innenschau; du hörst auf, an Dinge zu glauben, von denen du hoffst, dass sie dich retten. Klar, es ist ok an etwas zu glauben. Wenn die Wissenschaft z.B. sagt, dass die Sterne Millionen Kilometer große Kugeln sind, die Wasserstoff in Helium umwandeln, dann kann ich das nicht nachprüfen. Ich kann es glauben oder auch nicht; es tut niemand weh, wenn ich es tue.

PP: In der Wissenschaft gibt es Glaubenselemente?
Pax: Sie streiten das ab. Sie sagen, du könntest alles überprüfen, aber tatsächlich kann ich das nicht. Schon gar nicht den gesamten Körper wissenschaftlichen Wissens wie er heute existiert. Es hat Legionen von Forschern Jahrhunderte gekostet, all das zusammenzutragen. Letzten Endes muss ich die „Fakten“ einfach glauben. Die Erde dreht sich um sich selbst und gleichzeitig um die Sonne? Vielleicht ist es ja wahr; wie gesagt ist es kein Schaden, auch wenn es für die Zwecke eines normalen Erdenbürgers genügen würde, die Sonne morgens aufgehen und abends untergehen zu sehen, als ob sie sich um uns dreht. Dagegen schadet man sich selbst ganz enorm, wenn man seine Hoffnung in etwas setzt, das man nicht selbst beobachtet bzw. erfahren hat, sondern einfach voraussetzt. Psychologisch empfundenes Leid entsteht genau so. Kein Gott, kein Revolutionsführer, keine noch so ausgebuffte Technologie wird uns herauspauken. Das ist die Quintessenz der Spiritualität, das, worum es sich dreht.

PP: Spiritualität sollte für dich also aus Erfahrung entstehen?
Pax: Ja.

PP: Nicht aus etwas, das dir jemand gesagt, gezeigt oder dich gelehrt hat?
Pax: Ja. Das allergrößte, worüber wir in der Religion wie auch der Spiritualität reden können, ist natürlich Gott. Aber es gibt verschiedene Konzepte davon, was Gott ist: eine Person in einem Ort namens Himmel, oder eine Kraft die alle Materie durchwirkt, oder tatsächlich identisch mit allem ist, oder eine Kraft die an heiligen Orten auf der Erde gegenwärtig ist oder…

PP: …in dir oder außerhalb von dir besteht?
Pax: Für mich, aus meiner Erfahrung heraus, sind Gott und das Universum ein und dasselbe; daher gibt es keinen Unterscheidungsbedarf. Ich kann nicht einfach nur in eine dieser Gott-Theorien glauben. Spiritualität schließt das aus. Warum sollte ich der Bibel glauben, dass Gott ein sprechender Dornbusch ist oder eine Person, die uns überwacht? Das entspricht überhaupt nicht meiner Erfahrung. Wenn ich Gott dagegen als All-Eines erlebe, dann ist das Wahrheit. Meine Wahrheit, nicht irgendetwas, das ich gelesen habe. Es kommt aus mir selbst, als Ergebnis meines Lebenslaufs.

PP: Aber es könnte damit beginnen, dass man etwas liest, das einem eine Einsicht erlaubt?
Pax: Ja, sicher. Selbstverständlich. Es geht in der Spiritualität ja nicht darum, alles zu verleugnen, auch wenn wir alles in Frage stellen. Glaube und Hoffnung haben darin allerdings als Bewusstseinsbildner nichts zu suchen. Sie sind destruktiv, denn du wartest stets darauf, dass etwas mit dir oder um dich herum geschieht, anstatt selbst Verantwortung für dein Leben zu übernehmen.

PP: Hoffnung?
Pax: Ja, Hoffnung. Wenn man sagt, dass man etwas erhofft, dann erklärt man, dass man keine Macht über eine Sache hat. Wenn ich z.B. sage, ich hoffe, dass deine Reise angenehm sein wird, weiß ich, dass ich deine Reise nicht angenehm machen kann.

PP: Kommt auf den Standpunkt an (beide lachen). Im Portugiesischen haben wir zwei verschiedene Wörter dafür. Darum stellt sich die Sache für mich anders dar. Aber das würde jetzt zu weit führen…
Pax: Vielleicht auch nicht, denn Sprache formt unser Denken und wie wir die Welt sehen. Man kann das nicht trennen. Spache ist…

PP: …etwas, das uns hilft uns selbst zu definieren, oder? Wir denken mit Hilfe der Sprache.
Pax: Sie ist ein Realitätsbildner, nicht nur ein Ausdrucksmittel.

PP: Ja. Denkst du, Spiritualität ist für die Gemeinschaft in Auroville und den angrenzenden Tamilendörfern wichtig?
Pax: Die Villager haben ihre ganz eigenen Vorstellungen über Spiritualität. Sie kommen zumeist vom Hinduismus. Es gibt auch Christen und Moslems hier, aber der Haupteinfluss ist Hinduismus, und das wirkt sich auch auf die anderen Nationalitäten aus. Einige Dorfbewohner haben ihrerseits die Lehren von Sri Aurobindo und der Mutter (= Mirra Alfassa) angenommen, ohne ihren alten Glauben aufzugeben.

PP: Ist das in Auroville weit verbreitet? Ist es die Hauptquelle?
Pax: Ja, man könnte sagen, die hauptsächliche spirituelle Quelle hier ist Sri Aurobindo.

PP: Und auch die Mutter?
Pax: Die Mutter als…

PP: Implementierung?
Pax: Ja, sie verkörpert die angewandte, interpretierende Seite der Lehre Sri Aurobindos, denn er ist schwer zu lesen und zu verstehen (beide lachen wissend)

PP: Davon habe ich gehört.
Pax: Er sprach sehr gebildet, in langen Sätzen und schwierigen Wörtern. In gewisser Weise ist das nützlich, denn man muss über seine Aussagen nachdenken, statt einfach anzunehmen, man hätte das Gesagte verstanden. Auf der anderen Seite hält uns das hingegen oft davon ab, essenzielle Zusammenhänge zu begreifen. Die Mutter ist viel einfacher zu verstehen. Die Villager behandeln die Mutter wie einen ihrer Götter, aber man kann religiöse Züge auch in Auroville beobachten, wo Bilder der beiden Lehrer in praktisch jedem Raum hängen.

PP: Die Mutter, Sri Aurobindo, und außerdem Bilder von Krishna.
Pax: Außerdem sieht man häufig buddhistische und hinduistische Symbole.

PP: Sogar Jesus Christus und die Muttergottes.
Pax: Echt?

PP: Ja (beide lachen)
Pax: Ah, unglaublich. Viele Tamilen beten tatsächlich zur Mutter wie zu ihren sonstigen Göttern und bitten um einen Gefallen: „Meine Frau ist krank, bitte hilf“ oder „Meine Kinder brauchen neue Schulbücher, aber ich habe kein Geld…“, so in etwa.

PP: Gibt es hier in Auroville allgemein übliche bzw. gemeinsame Praktiken oder wird Spiritualität eher auf individueller Ebene gelebt?
Pax: Die Natur der Lehren von Sri Aurobindo und der Mutter sorgt dafür, dass Spiritualität eher individuell geprägt bleibt. Der Integrale Yoga unterzieht jede Handlung, auch weltliche Angelegenheiten, dem Streben nach Perfektion und Bewusstsein, soll aber keinesfalls als Religion verstanden werden. Es geht nicht um unreflektiertes Nachplappern von Lehrsätzen. Spiritualität, also auch der Integrale Yoga, muss eine Wahrheit sein, die aus dir selbst kommt. Wenn es in dir nichts zum Klingen bringt, dann entspricht dein Wollen nicht der Wahrheit. Wie man dieses Streben gestaltet bleibt ebenso dem Einzelnen überlassen wie die Form der Spiritualität, die wir aus der Außenwelt mitbringen. Jeder beschreitet seinen ganz individuellen Pfad.

PP: Gibt es vielleicht trotzdem Praktiken, die allgemein verbreitet sind?
Pax: Naja, Karma Yoga eben, der Yoga der Arbeit, denn der besagt, dass das ganze Leben – bzw. alles Leben – Yoga ist. Alles was wir tun sollte bewusst getan werden, im Streben nach Perfektion, d.h. mit Liebe. Ich glaube, der Satz „Alles was ich tue, tue ich mit Liebe“ ist von Sri Aurobindo. Wenn das Leben in diesem Sinne geführt und Arbeit mit dieser Einstellung getan wird, hat man bereits große Schritte unternommen. Es ist nicht nötig perfekt zu sein, sondern den Weg dorthin einzuschlagen. Das Leben tendiert in diese Richtung. Lasst es uns besser machen als gestern, als in unseren Heimatländern. Man mag das von außen nicht so sehen, weil zwischen dem Anspruch der Auroville Charta und der Wirklichkeit selbstverständlich Lücken klaffen. Aber die Lehren der Mutter sind definitiv eine Leitlinie für das Leben hier. Viele Leute gehen etwa ins Matrimandir, um darüber zu meditieren oder nachzudenken. Es ist das von außen am deutlichsten sichtbare Zeichen hiesiger Spiritualität. Das Matrimandir ist das Zentrum von Auroville. Bei all der tiefen Verehrung für die Stadtgründerin gibt es dort eines Tages womöglich doch eine Art Gottesdienst, obwohl das von ihr völlig abgelehnt wurde.

PP: Gottesdienste sind also nicht ok?
Pax: Nichts gegen Gottesdienste. Es ist nichts Verkehrtes daran, aber sie gehören trotzdem nicht hierher.

PP: Ich weiß. Um auf ein anderes Thema zu kommen: Denkst du, dass Spiritualität ein Vorteil bei Projektarbeit ist? Soweit ich weiß, hat Auroville ja einige Entwicklungsprojekte am Laufen.
Pax: Ich möchte das so beantworten: Wir alle haben unsere Vorlieben und Abneigungen bei dem was wir tun. Manche mögen z.B. keine Wäsche waschen, aber es gehört halt dazu, besonders wenn man Familie hat. Anfangs zeigen wir dann guten Willen, tun unsere Pflicht und denken, das kann ewig so weitergehen. Aber das tut es eben nicht. Wenn wir uns bemühen, dann kostet es uns Mühe; wir stecken viel Energie hinein. Irgendwann geht sie uns aus. Wir hören auf, willig und aufmerksam zu sein, wir verlieren das Interesse, die Wäsche wird nicht mehr so häufig und nicht mehr so gründlich gewaschen, und wenn möglich schieben wir die Arbeit auf jemand anderen ab. Das Problem ist nicht, dass wir faul und nachlässig wären, keineswegs. Aber wir stehen nicht hinter der Aufgabe, unser Herz ist nicht voll dabei, denn innerlich ist uns diese Arbeit zuwider.

PP: Wo kommt da Spiritualität ins Spiel?
Pax: Unsere Einstellung ändert sich, wenn wir unsere Arbeit aus Liebe tun, statt sie als Pflichtübung zu begreifen. Statt mehr oder weniger eiserner Disziplin bewegt uns ein aus uns selbst kommender Wunsch, ein Streben. Das erfüllt uns mit Kraft, statt uns Energie zu rauben. Spiritualität kann Projektarbeit beflügeln, weil die Motivation dafür von innen kommt, von einem Herzenswunsch, aus Liebe für eine Sache. Die Arbeit läuft trotz äußerer Widrigkeiten weiter und trägt sich selbst. Man muss sich nicht jeden Morgen aufs Neue zum Aufstehen überreden; eher beginnt man den Tag bevor…

PP: …der Wecker schellt.
Pax: Genau.

PP: Siehst du auch Nachteile oder Risiken?
Pax: Man könnte womöglich andere Aspekte der Projektarbeit übersehen oder unterschätzen, etwa die Finanzen, bürokratische Einschränkungen oder Opposition gegen das Projekt. Solange es diese Dinge gibt, müssen wir sie auch in die Gleichung einbeziehen.

PP: All das sollte im Gleichgewicht stehen, meinst du?
Pax: Ja. Das wäre auch im Sinne des Integralen Yoga.

PP: Ok. Kannst du mir aus deiner Erfahrung beispielsweise mit der Farm auf der du lebst und arbeitest erzählen, wie du deine Spiritualität mit der Community praktizierst oder ist das eher Privatsache?
Pax: (Hüsteln) Schwierige Frage (beide lachen), denn sie verlangt etwas Irreales. Man kann Spiritualität zwar definieren, aber das erweckt den Eindruck, als sei sie etwas, das getrennt, losgelöst vom normalen Leben existiert, etwas das man besitzen kann, oder eine Tätigkeit wie das Entzünden von Räucherstäbchen. Ich sehe sie eher untrennbar mit allem verbunden: Seele, Denken, Reden, Handeln. Spiritualität ist für mich eine Daseinsform. Es gibt da keine speziellen Anwendungen für Communitys. Wenn du alles aus Liebe tust – oder das zumindest anstrebst – dann ist alles was du tust spirituell und wirkt sich auch auf das Zusammenleben aus.

PP: Sie ist Teil von…
Pax: Sie ist das Leben selbst!

PP: Ok, sie ist das Leben, sie ist das Dasein…
Pax: Sie ist Dasein.

PP: In Ordnung. Ich habe keine weiteren Fragen, außer der nach einem Schlusswort.
Pax: Ich habe den Eindruck, dass Leute mit einem spirituellen Hintergrund – selbst jene, die sich nur am Rande davon bewegen und das Wort womöglich nie in den Mund nehmen würden, etwa Teile der Umweltbewegung mit ihrer tiefen Liebe zur Natur – dass diese Leute mehr erreichen, als Entwicklungsprojekte, die sich lediglich auf Organisationsstrukturen, Geld und Manpower stützen. Letztere rennen sich oft die Köpfe ein, bleiben stecken und vertun viel Energie im Kampf um Recht, Gerechtigkeit und bessere Bedingungen. Ärger kommt auf, Widerstand laugt sie aus und die Arbeit brennt sie aus. Wenn man aus Liebe für eine Sache handelt, sieht es anders aus. Man läuft weniger Gefahr, Kraft zu verlieren, weil man sich eher von den Erfolgen beflügelt als von den Misserfolgen aufgehalten sieht. Und was auch immer geschieht, man muss damit ganz einfach klarkommen. Jammern hilft nicht weiter. Aus meiner Warte – und ich bin erst seit zwei Jahren zu ihr erwacht – sehe ich die in der Spiritualität steckende Energie sehr deutlich; gerade weil sie für mich so frisch ist. Ich kann mich erinnern, wie sich meine Weltsicht von einer negativen in eine positive Perspektive gekehrt hat; von einer Einstellung, in der ich ständig in Sorge gelebt habe, was mit mir geschehen würde, wenn ich meine Umgebung nicht unter Kontrolle behalte, hin zu jener liebenden Sichtweise, bei der ich die Dinge zunächst einmal so akzeptiere wie sie sind, um von dort aus etwas anzustreben. Also nicht anti irgendwas, sondern pro etwas. Und das macht einen riesengroßen Unterschied für die Erfolgschancen bei allem was du tust.

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