Wenn man sich mit Sozialkritik und alternativen Gesellschaftsentwürfen beschäftigt, stößt man unweigerlich auf Myriaden von Verschwörungstheorien. Wo sich drei Deutsche treffen, bilden sie einen Verein. Der Rest der Welt formt Verschwörungen – oder entsprechende Theorien. Ihre Verfechter interessieren grundlegend zwei Dinge: die Klärung der Schuldfrage und die sinistren Absichten der Verschwörer, also die Frage nach WER und WARUM.
Heute geht es mir jedoch, anders als im 9/11-Artikel, nicht um wer und warum, sondern um den Umgang mit der Kenntnis (oder Vermutung) einer Verschwörungsabsicht. Entlang dieser Richtlinie möchte ich die Verschwörungstheorien im Bereich der Gesellschaftsdynamik in zwei Lager teilen: “SIE (ihr wisst schon wer) wollen uns schläfrig machen” vs. “SIE wollen uns gegeneinander aufbringen”.
Ein typischer Vertreter der ersten Sorte ist Alex Jones, der mit feuriger Rhetorik, cholerischem Temperament und ausgestattet mit Mikro- und Megaphon den Standpunkt vertritt, dass SIE unsere Fähigkeit zu klarem Denken, zu Gegenwehr und Aufruhr, also insgesamt selbständigem Handeln, zu untergraben versuchen, damit SIE ihre Ziele um so leichter durchsetzen können. Maßnahmen zu diesem Zweck seien das Verbot Waffen zu tragen, Einlullung durch Unterhaltung, Ablenkung der Aufmerksamkeit auf Nebensächliches und nicht zuletzt die Propagandierung von Pazifismus und globaler Einheit.
Den Gegenpart bilden Kolumnisten wie Freeman (“The Freeman Perspective”), die in der Fixierung der Presse auf Missgeschicke, Betrug, Streit und Katastrophen, also Negativnachrichten, den Versuch sehen, Zwiespalt zu schaffen, uns gegeneinander aufzubringen, um uns so zu Handlangern einer Weltverschwörung zu machen, die wir aufgrund unserer Uneinigkeit nicht stoppen können.
Entsprechend gegensätzlich fällt dann natürlich die jeweils verschriebene Abhilfe aus: Es gibt zwischen ihnen zwar einen schmalen Konsens über passiven Widerstand und zivilen Ungehorsam; grundsätzlich rufen erstere jedoch zu Massenzusammenrottungen, Massenprotesten, offensiver Taktik, bewaffnetem Widerstand und Gang in den Untergrund auf, während letztere eher den Rückzug aufs Private, auf Familie und Stamm, auf Selbstbeherrschung und Genügsamkeit, innere Größe und äußeren Minimalismus vertreten.
Man ahnt es schon – wo derart unvereinbare Auffassungen aufeinandertreffen, sind die gegenseitige Bezichtigungen des Beteiligtseins an der großen Weltverschwörung nicht weit. Ja sie liegen geradezu auf der Hand: Du bist gegen das System? Dann wach endlich auf, denn bisher handelst du genau so, wie SIE es sich von dir wünschen.
Ich halte das für extrem kontrapoduktiv. Sollte es eine solche Verschwörung geben, dann sind wir vereint sicher stärker, als wenn wir uns gegenseitig Knüppel zwischen die Beine werfen. Kritik an der konkreten Strategie ist natürlich gerechtfertigt. Es ist auch nicht unbedingt nötig, dem Schwarzen Block Molotowcocktails zu reichen oder gegen seine Überzeugung beim Aufbau eines Zen-Zentrum zu helfen. Das sollte aber keineswegs dazu führen, dass man sich wie die linke Bewegung auseinanderdividieren lässt und schließlich mehr Energie in die Bekämpfung “abweichlerischer” oder “subversiver Elemente” steckt, als in das eigentliche Anliegen. Gleiches gilt meiner Ansicht nach auch für die Auseinandersetzung zwischen jenen, die die Ursachen der extremen Ungleichheit in unserer Gesellschaft in Verschwörungen sehen, und solchen, die von einem unbewussten, dem Gesellschaftsmodell innewohnenden Mechanismus ausgehen. Prinzipiell, so glaube ich, haben wir alle ein wichtiges Stück Wirklichkeit erkannt und uns von der bequemen Matraze süßer Träume erhoben.
Die Einschätzung des Wahrheitsgehalts der verschiedenen Theorien liegt außerhalb meiner Fähigkeiten. Darum verkneife ich mir jegliche Parteinahme. Was die Strategie angeht, steht die Sache anders. Vom Leidensaspekt her ist die Nichtexistenz eines Konflikts seiner Existenz vorzuziehen. Die Auflösung des Konflikts zwischen UNS und IHNEN müsste in diesem Paradigma oberste Priorität erhalten. Dem geben Natur und Geschichte recht. Seit Milliarden von Jahren demonstriert das Leben den dynamischen Ausgleich von Interessen. In den drei Millionen Jahren seit der Entstehung seiner Art hat sich der Mensch in dieses Gefüge eingepasst. Seine Strategie umfasste (und umfasst in den noch bestehenden Stammesgesellschaften bis heute) Primitivismus, Tribalismus und Geschenkwirtschaft. Es sind dies Aspekte einer Lebensweise, die bis zu ihrer Zerstörung durch das, an sich zerstörerische, Konzept von Zivilisation hervorragend funktioniert haben. Für alle. Die Bevorzugung friedlicher Mittel, der Rückzug auf innere Größe und äußeren Minimalismus, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein weises Abstandnehmen von einem System, das nicht nur “die Schwachen”, sondern schließlich auch sich selbst zerstören wird, sofern man ihm nicht Einhalt gebietet.
Der irische Autor und Filmemacher Michael Tsarion gibt in einem Interview mit BBC5 Auskunft über die psychologischen Zusammenhänge zwischen der Erosion innerer Freiheit und verschiedenen Formen von Kontrolle, sowie die historische Rolle von Verschwörungen in diesem Prozess. Ich habe den Streifen in meine Sammlung von Empfehlungen aufgenommen, obwohl ich weit davon entfernt bin, Tsarions Theorien über den wahren Verlauf menschlicher Geschichte für bare Münze zu nehmen, denn er zeigt, wie man sich dem Thema auf vernünftige Weise nähern und seine Relevanz würdigen kann.
Trotz seines durch die Mainstream-Medien stark in Mitleidenschaft gezogenen Klangs ist die Bedeutung des Worts ‘Verschwörungstheorie’ eine neutrale. Es besagt, dass Vermutungen darüber angestellt werden, in welchem Zusammenhang sich Menschen heimlich zu einem gemeinsamen Zweck abgesprochen haben. Eine Aussage über Existenz oder Nichtexistenz der Verschwörung ist damit nicht getroffen.
Die Behauptung beispielsweise, dass Osama bin Laden und Mitglieder von Al-Quaida Urheber der Anschläge vom 11.September seien, ist eine solche Verschwörungstheorie, an die zwar viele glauben, für die jedoch selbst das FBI keine hinreichenden Beweise gefunden hat.
Hinreichende Beweise führen das Kartellamt dagegen regelmäßig zur Aufdeckung von Preisabsprachen zwischen großen Firmen. Hierbei handelt es sich um Verschwörungen (gegen den Käufer) zur Gewinnmaximierung.
Und auch die Vermutung, Hitler und Stalin hätten sich bezüglich der Aufteilung Europas verschworen, hat sich historisch bestätigt. Manchmal erweisen sich Verschwörungstheorien als wahr, manchmal trotz plausibler Begründung als unwahr, und manchmal sind sie einfach blanker Unsinn.
Robert Anton Wilson, der sich sowohl als Romanautor (“Illuminatus”) wie auch als Dokumentator (“Lexikon der Verschwörungstheorien”) jahrzehntelang mit Verschwörungen und den dazugehörigen Theorien beschäftigt hat, ohne selbst Verfechter einer solchen zu sein, gibt im folgenden Interview auf erheiternde Weise Einblick in seine Arbeit: