“Geld, das wie eine Zeitung veraltet, wie Kartoffeln fault, wie Eisen rostet, wie Äther sich verflüchtigt, kann allein sich als Tauschmittel von Kartoffeln, Zeitungen, Eisen und Äther bewähren. Denn solches Geld wird weder vom Käufer noch vom Verkäufer den Waren vorgezogen. Man gibt dann nur noch die eigene Ware gegen Geld her, weil man das Geld als Tauschmittel braucht, nicht, weil man vom Besitz des Geldes einen Vorteil erwartet.“
(Silvio Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung, S.181)
“Anders ausgedrückt wird das Geld als Tauschmittel vom Geld als Wertspeicher entkoppelt. Geld ist dann keine Ausnahme von der natürlichen Tendenz zum rosten, verformen, verrotten und verfallen – d.h. von der Rückführung von Ressourcen in den Kreislauf. Geld hält nicht mehr den von der Natur getrennten menschlichen Bereich aufrecht.
Gesells Ausdruck „eine Einbildung, ein ungeheurer Wahngedanke, nur der Gegenstand der Wertlehre …“ weist auf eine noch subtilere und wirksamere Auswirkung des Schwunds hin. Wovon redet er? Wert ist der Glaube, der jedem Objekt in der Welt eine Zahl zuweist. Es verbindet eine unveränderliche, unabhängige Abstraktion mit etwas, das sich stets ändert und in Beziehung mit allem anderen existiert. Schwund kehrt dieses Denken um und entfernt daher eine wichtige Grenze zwischen dem menschlichen und dem natürlichen Bereich. Wenn Geld nicht länger Gütern vorgezogen wird, werden wir uns abgewöhnen, über den „Wert“ von etwas nachzudenken.”
(Charles Eisenstein: The Ascent of Humanity, VII-2)
Hier muss ich Charles (und auch Silvio) zum ersten Mal ernsthaft widersprechen. Zwar trifft es zu, dass beim mit Negativzins, mit Schwund belasteten Geld die Funktion als Wertspeicher verloren geht und es nicht mehr gehortet werden kann. Aber das bedeutet nicht, dass die Objektifizierung der Welt beendet wäre. Es bedeutet nicht, dass die Anhäufung von Wohlstand in wenigen Händen beendet wäre. Und es bedeutet vor allen Dingen nicht, dass die Doktrin vom grenzenlosen Wachstum beendet wäre. Statt Geld würden wir Güter anhäufen. Das ist, wie an anderer Stelle bereits diskutiert, das eigentliche Ziel unserer Wirtschaftsform. Gerade weil das Geld verfällt, müsste man möglichst schnell Waren und Dienstleistungen in Anspruch nehmen, damit man nicht umsonst dafür gearbeitet hat. Das ist das offene Geheimnis des Wunders von Wörgl, wo das System 1932/33 mit Erfolg angewendet worden ist. Das Schwundgeld befeuerte den Konsumkreislauf, und der ist nichts anderes als die Verdinglichung der Welt, ihre Umwandlung in Ressourcen zur Herstellung von Waren zur Befriedigung unserer Wünsche. Der Kurve mag ihr exponentieller Verlauf genommen sein, der vom Zins herrührt; sie wird jedoch unaufhaltsam – linear – weiter ansteigen, so dass das Ende vom Lied die Zerstörung der Lebensgemeinschaft auf diesem Planeten bleibt.
Auch muss ich der Behauptung widersprechen, dass wir nicht mehr über den Wert der Dinge nachdenken würden. Werte sind zwar willkürlich zugewiesene Eigenschaften von Dingen und Ideen, aber ihre Existenz hängt nicht vom Geld ab. Wenn wir Gesundheit gegen Leben, Leben gegen Bequemlichkeit und Bequemlichkeit gegen Zufriedenheit abwägen, nehmen wir ebenfalls eine Bewertung vor. Sie ist immer abhängig vom Weltbild des Einzelnen, und das wiederum von seiner Erfahrung.
Wir stehen noch immer vor der immensen Aufgabe, unser Denken, unser Selbst- und Weltbild zu ändern, wenn wir als Spezies langfristig überleben möchten. Es ist mit Geld nicht zu lösen, allein schon, weil Geld und Handel Symptome für die Knappheit von Gütern sind. Es gibt drei Wege, der Knappheit zu entgehen:
a) weiteres Wachstum. Das ist der Weg, der stets von Anhängern der Marktreligion als “einzige Wahl” vorgebracht wird. Wachstum bei uns bedeutet jedoch Knappheit woanders. Selbst wenn man das abstreiten möchte, so bleibt doch die mathematische Gewissheit, dass unaufhörliches Wachstum in einer begrenzten Welt irgendwann an seine Grenzen stößt. Was dann? Wir haben bereits bewiesen, dass wir nicht bereit sind, an diesen Grenzen haltzumachen. Unaufhörliches Wachstum, egal welchen Verlauf es nimmt, führt unausweichlich zur völligen Erschöpfung aller Kapazitäten.
b) man senkt und stabilisiert den Verbrauch, indem man den Bedarf über Bevölkerungszahlen senkt und stabilisiert. Auch dies kann nur vorübergehende Beruhigung der Lage zur Folge haben, wenn das Wirtschaftssystem weiter auf Wachstum basiert.
c) man senkt und stabilisiert den Verbrauch, indem man den subjektiven Bedarf senkt und stabilisiert, d.h. die Ansprüche, die Menschen an ihr Dasein stellen.
Ich sehe keinen Weg um c) herum, der auf lange Sicht einen Effekt hätte. Nachhaltigkeit bedeutet wirtschaftliches Handeln im Rahmen der Erneuerbarkeit der Ressourcen, mit anderen Worten Nullwachstum auf niedrigem Niveau. Wenn es aber an unserem Denken liegt, dann können wir auch gleich auf eine geldlose, weitgehend vom Handel befreite Lebensweise, die sogenannte Geschenkwirtschaft umschwenken, sobald unser Weltbild das Nachdenken über Geld zulässt. Aus meiner Sicht sind Alternativwährungen Zeitverschwendung. Aber ich verstehe natürlich, dass manch einer diese Krücke brauchen mag, um sich vom alten, knappheits-, eigennutz- und konkurrenzbasierten Marktsystem zu lösen; auch von der Idee, dass Güter “gerecht verteilt” werden müssten, und dass Gerechtigkeit bedeute, dass man sich das Recht auf Leben “verdienen” müsse.