Ich denke, ich habe das
Fermi-Paradoxon gelöst. Nicht, dass ich es beweisen könnte (nicht, dass ich darauf überhaupt Wert legen würde). Und nicht, dass ich der Erste wäre. Man hätte bloß die Hopi, Kogi, die Dogon, Mbuti oder Aborigines fragen müssen. Eigentlich ist es so offensichtlich, dass nur eine Kultur wie unsere es übersehen kann – und das will für diese Kultur nichts Gutes heißen. Aber hey, ist das eine Überraschung?
Das beharrliche Schweigen des Kosmos legt nahe, dass es einen gemeinsamen, generellen Faktor geben muss, der für alle galaktischen Zivilisationen gilt. Eine völlige Isolierung der Erde kann jedoch nur an zwei Stellen universal wirksam sein: im Bereich der Naturgesetze und jenem der menschlichen Informationsverarbeitung. Wenn wir das zugrundeliegende Naturgesetz nicht erkennen können, muss es fast zwangsläufig mit unserer Wahrnehmung zusammenhängen. Aber was könnte das sein, das uns blind macht? Ist es physisch oder kulturell bedingt, d.h. können wir die Anderen nicht hören oder unterläuft uns ein Denkfehler?
Da die Wahrscheinlichkeit für die Existenz irgendeiner uns zumindest sehr ähnlichen extraterrestrischen Lebensform spricht, die dieselben Signale verarbeiten kann wie wir, scheidet physische Unfähigkeit wohl aus. Es gibt aber einen relevanten kulturellen Faktor, der gerade jenen gemeinsam ist, die sich üblicherweise mit dem Fermi-Paradoxon beschäftigen: die Blindheit und Losgelöstheit des Wissenschaftlers bezüglich der destruktiven Folgen seiner Forschung, die sich in der Gesamtkultur als Verleugnung der eigenen Verantwortlichkeit und Vergänglichkeit spiegelt, und damit als Unfähigkeit zur Korrektur fataler Fehlentwicklungen.
Wir haben es aus meiner Sicht mit einer gesetzmäßigen Wahrnehmungsstörung zu tun. Das eigentliche Paradoxon ist danach nicht die unheimliche Funkstille trotz wahrscheinlicher Myriaden außerirdischer Zivilisationen. Die Paradoxie (oder sollte ich besser sagen: Tragik) liegt darin begründet, dass genau jener Prozess, der uns zu Sternguckern und potentiellen Raumfahrern macht, zwangsläufig dazu führen wird, dass es nie zu interstellaren Kontakten kommt, weil er ausnahmslos ein Weg der Selbstzerstörung ist. Weil er auf den Glauben an die Kontrollierbarkeit der Welt aufbaut verhindert jener Prozess außerdem grundsätzlich die Auflösung des Paradoxons.
Schaut man genauer, dann haben wir das tatsächlich nicht einfach übersehen. Wir halten es lediglich für unrealistisch… dass Zivilisationen inhärent suizidal veranlagt sind. Verschiedene Autoren weisen als entfernte Möglichkeit darauf hin, wenngleich Mutter Kultur unverblümt dafür sorgt, dass das als reines Gedankenspiel mit offenem Ausgang erkennbar bleibt, eine spannende und irgendwie makabre Wette auf den Weltuntergang; nach dem Motto: Die Zukunft wird’s zeigen. Lasst uns das mal bis zum Ende durchspielen und sehen, ob es stimmt.
Wir sind uns wohl einig, dass es für Raumfahrt einer Zivilisation bedarf. Und nicht nur irgendeiner, sondern einer globalen. Global deshalb, weil die Ansammlung notwendiger Fähigkeiten und Ressourcen globale Anstrengungen nötig macht, weil dazu schon eine gewisse Vorgeschichte des “Aufstiegs” notwendig war und jeder Schritt dieses zivilisatorischen “Aufstiegs” immer mehr gemeinsame Anstrengung von immer größeren Gruppen erforderte, als irgendeiner zuvor. Am Bau einer Rakete sind im Endeffekt Milliarden Menschen beteiligt.
Als Nebenbemerkung dazu ist das Leben im Lauf der letzten 10.000 Jahre nicht einfacher sondern schwerer geworden. Die schiere Aufrechterhaltung unseres Lebensstandards verlangt, dass wir heute doppelt bis dreifach so lang arbeiten, wie Menschen sogenannter primitiver Kulturen und darüber hinaus lässt jede Person im Weltdurchschnitt 13
Energiesklaven für sich schuften. In Deutschland sind es 60, wobei hier allein elektrische Energie 18 Energiesklaven verheizt. Ein durchschnittlicher US-Bürger hat sogar 110.
Angesichts der Tatsache, dass Energie schließlich immer
als Wärmestrahlung endet, brauchen wir uns über Erderwärmung glaube ich nicht mehr zu unterhalten. Schon deshalb ist diese Zivilisation langfristig dem Untergang geweiht.
Nun könnte man erwidern, dass wir uns doch bereits auf dem Weg der Besserung befinden. Wir haben das Problem ja erkannt und werden ihm aktiv entgegentreten. Es gibt Umweltschutzbewegungen, ja sogar -Ministerien und globale Konferenzen auf höchster Ebene. Wir werden das in den Griff bekommen.
Nein. Werden wir nicht. Denn der Vorgang, der dafür sorgt, dass wir Raumfahrzeuge bauen können, Zivilisation nämlich, beruht selbst auf der historisch fortschreitenden Akkumulation von Ressourcen und Energiesklaven. Ohne stetig wachsende Zahlen in allen Bereichen des Lebens keine Zivilisation, ohne Zivilisation keine Raumfahrt. Was aber bedeutet fortdauerndes Wachstum auf einem begrenzten Planeten?
Menschen bestehen aus Nahrung. Ohne Nahrung kein Leben. Das heißt, der Mensch ist, wie jedes andere Lebewesen, vom Land und dessen reproduktivem Ökosystem abhängig. Kein Problem, solang er seine Nahrung selbst sammelt oder jagt. Oder nichtexpansiv, nichtintensiv für den Eigenbedarf anbaut. Auf diese Weise hat sich die Menschheit drei Millionen Jahre lang ins Ökosystem eingefügt – bis zur neolithischen Revolution vor 10.000 Jahren, als eine der menschlichen Kulturen im Nahen Osten anfing Nahrungsmittel zu horten.
Wenn jemand anfängt, andere Personen mitzuversorgen, wird Spezialisierung möglich. Dieser jemand wird hauptberuflicher Bauer oder Jäger und die von ihm versorgten Personen werden Werkzeugmacher, Schuhmacher usw. Das aber macht alle in diesem System Beteiligten zu Abhängigen über das in einem Ökosystem vorhandene Normalmaß hinaus. Es wird Handel nötig, und damit kommen wir in den schwierigen Bereich der Wertzuschreibung. Welchen Wert hat ein Schuh in Weizen gemessen? Welchen Wert hat eine Axt in Schuhen gemessen?
Spezialisierung führt also fast zwangsläufig zu Konflikten, deren Lösung – du errätst es – durch Kontrollinstanzen herbeigeführt werden muss: Richter, deren Autorität von Regeln (Gesetzen) herrührt, welche sich irgendjemand ausdenken (Herrscher) und auch durchsetzen (Polizei, Söldner) muss. Diese soziale Kettenreaktion, die eine wachsende Kaste unproduktiver mitzuversorgenender Personen – Kontrolleuren, “Dienstleistern” – erschuf, lief in erstaunlicher Gleichförmigkeit unabhängig voneinander
an mehreren Stellen der Welt ab: Landwirtschaft führte zu Spezialisierung, Spezialisierung zu Handel, Handel zu Kontrolle, Kontrolle machte Autorität, Mathematik und Schrift nötig, wobei Autorität zur Konzentration von materiellen Werten führte, Mathematik zu effektiverer Technologie der Ressourcenausbeutung, und Schrift zur Geschichtsschreibung, die im Gegensatz zur zyklischen Weltsicht der Primitiven (Kreislauf von Werden und Vergehen) ein lineares Konzept menschlicher Entwicklung entwirft: der “Aufstieg” der Menschheit im Zuge zivilisatorischen “Fortschritts”.
Schrift und Mathematik sind beide nur möglich und ergeben auch nur dann Sinn, wenn z.B. aus einzelnen, individuellen Menschen die Kategorie “Mensch” wird, mit einer darin enthaltenen zählbaren Menge “gleichartiger” Elemente, wenn man also die Realität indivdueller Dinge oder Geschehnisse (mit jeweils unendlich vielen Eigenschaften) auf einige wenige Eigenschaften herunterbrechen und auf eine Verallgemeinerung reduzieren kann.
Ohne dieses Konzept kann keine Zivilisation bestehen, geschweige denn Raumfahrt betreiben. Die Reduktion der Ökosphäre, des Lebens, auf zählbare, kategorisierbare Dinge prägt diese Kultur nicht nur, sie ist deren Substanz. Ihre atomistische Vorstellung vom Ökosystem Erde kommt über mechanistische Abläufe nicht hinaus, wie auch menschliche Einheit in diesem Denkschema maximal die Summe aller Einzelpersonen darstellt. Zusammenhänge, Relationen, Bindungen zwischen den Dingen spielen dabei absolut keine Rolle. Respekt vor und Rücksicht auf das globale Beziehungsgeflecht auf der Erde läuft der Zivilisation zuwider; sie ist unter gar keinen Umständen mit ihr vereinbar.
Der Domino-Effekt, der den Zivilisationsprozess auslöste, setzt sich bis in unsere Tage ungebremst fort. Heute sind in Deutschland nur noch 2% der Bevölkerung mit der Nahrungsmittelgewinnung beschäftigt, nur noch 26% mit sonstiger Produktion, inkl. Nippes und Plastikschrott. Der Rest gehört effektiv dem schmarotzenden Kontrollgewerbe an, das miternährt werden muss, ohne dass es Beiträge zum Überleben der Gemeinschaft leistet und ohne Energiesklaven auf keinen Fall bestehen könnte.
Je mehr Menschen mit der Kontrolle der Produktion beschäftigt waren, desto intensiver mussten die Erzeuger lebenserhaltender Güter Ressourcen verbrauchen, was schließlich sogar zur Erschöpfung erneuerbarer Rohstoffe (Wälder, Quellen, Böden) im näheren Bereich führte und die Expansion der Zivilisation nötig machte. Expandierte Gemeinwesen bedurften mehr Kontrolle, was wiederum mehr Intensivierung und weitere Expansion im produzierenden Gewerbe nach sich zog, usw. usf.
Auf diese Weise hat die mesopotamische Zivilisation zunächst die gesamte Alte Welt, später auch alle anderen Kontinente überwuchert. Die Umgebung, sprich: die betroffenen traditionellen Stämme, haben ihr Land niemals freiwillig zur Verfügung gestellt. Letzten Endes konnte die Zivilisation nur über deren Leichen weiter expandieren und nur durch Ausbeutung und Ausrottung nichtmenschlicher Arten intensivieren. Sie umspannt heute mit wenigen Ausnahmen den gesamten Erdball einschließlich der zu 90% leergefischten Meere. Wieviele Minuten bis 12 Uhr wir noch haben, dürfte klar sein.
Zivilisation kann per Definition (beachte besonders Teil 3) nicht nachhaltig sein, denn sie braucht Wachstum, das durch fortschreitende Ausplünderung des Umlandes mit Hilfe von Gewalt gegen menschliche und nichtmenschliche Lebewesen aufrecht erhalten werden muss – bis alle erreichbaren “Ressourcen” aufgebraucht sind. Die Zivilisation ist nicht in der Lage, den Vorgang von sich aus zu stoppen, es sei denn, sie schafft sich freiwillig selbst ab. Wahrscheinlicher ist, sie stößt an die Obergrenzen der planetaren Tragfähigkeit.
Einmal begonnen muss sie unausweichlich enden. Welch eine Überraschung, dass auch zivilisierte Menschen dem Kreislauf von Werden und Vergehen unterworfen sind – willkommen in der wirklichen Welt 😀
Was aber hindert uns, dem Ende der Zivilisation rechtzeitig mit der Gründung autarker Kolonien auf anderen Planeten entgegenzutreten?
“Es gibt praktisch keine galaktischen Katastrophen, die eine Zivilisation, die über viele hundert Welten verbreitet ist, vollständig zerstören könnten – die Zivilisation wäre praktisch “unsterblich”. An einem einzigen Punkt in der Geschichte einer Zivilisation ist also die Selbstzerstörung möglich: In der Zeit zwischen dem Bau der ersten Atombombe (womit zum ersten Mal überhaupt die Zerstörung der Zivilisation möglich wird) und dem Bau der ersten, autarken Kolonie.”
Da wir von niemandem Nachrichten aus dem All empfangen, lässt das auf die Vorgänge “da draußen” folgendes schließen: Keine Zivilisiation in erreichbarer Nähe hat es bisher über die Grenzen des eigenen Planeten hinaus geschafft. Wenn Versagen die Regel darstellt, dann lautet das Gesetz, nach dem Fermi suchte:
Interstellare Raumfahrt ist nicht möglich, weil die zu ihrer Verwirklichung erforderliche Denk- und Handlungsweise die Lebensgrundlage der betreffenden Kultur vorzeitig zerstört.
Die Kapazitäten eines bewohnbaren Planeten sind bis zu Beginn des Raumfahrtzeitalters überschritten. Das Vorhaben, dem Desaster durch beschleunigte Entwicklung ins All zu entkommen ist, als beeile man sich eine Geschichte schneller zu lesen, damit man fertig wird, bevor das Buch zuende ist.
Die Wahrscheinlicheitsrechnungen behalten ihre Gültigkeit: Es gibt höchstwahrscheinlich Leben. Es gibt höchstwahrscheinlich sogar intelligentes Leben, aber: Es gibt genau drei Arten, wie es sich entwickelt:
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Es bleibt “primitiv”, d.h. dezentral organisiert und nachhaltig wirtschaftend. Es sieht keinen Sinn in irgendeiner Art von Expansion, am allerwenigsten ins All.
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Es beginnt den Zivilisationsprozess und bricht ihn bis zum Beginn der Raumfahrt freiwillig ab, wie es z.B. die Anasazi getan haben. Nach trial & error behalten die Primitivisten das letzte Wort.
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Oder – das scheinen wir durchziehen zu wollen – es durchläuft den Zivilisationsprozess bis zum unabwendbaren Ende, an dem Konflikte um den Zugriff auf die letzten Ressourcen zu lethalen Kriegen bzw. völliger Ressourcenerschöpfung führen. Die Zivilisation bricht mit dem Ökosystem zusammen. Der Aufbruch ins All findet nicht statt und die Zeitspanne des Aussendens von Signalen währt nur wenige Jahrzehnte (im Fall der Menschheit ca. ein Jahrhundert) – ein zu kleines Zeitfenster um von Lauschern entdeckt zu werden. Selbst wenn wir in dem Heuhaufen da draußen auf Signale von Verrückten wie uns stoßen sollten, werden sie unsere Antwort wegen der langen Reisezeiten signaltragender Wellen nicht mehr empfangen.
Wie auch immer, wir werden keine Weltraumkolonien haben, keine Generationenschiffe, keine Saatschiffe; nicht mal stärkere Antennen. Nada. Wir werden, freiwillig oder nicht, noch in diesem Jahrhundert unsere zivilisatorischen Aktivitäten einstellen.
Was mich auf die Idee bringt, dass das Universum wirklich ein großartiges Gebilde ist, wenn es Kraft seines inneren Aufbaus von allein verhindert, dass karzinös wuchernde Kulturen versuchen, ihr Wachstum über die Grenzen eines Planeten auszudehnen. Kann man sich ein schöneres Beispiel für dynamisches Gleichgewicht vorstellen?