(aus einem Brief)
„…würde mich interessieren, was du damit meinst, dass sich The Zeitgeist Movement für dich konzeptuell als eine herbe Enttäuschung herausgestellt hat“
O Gott, da könnte ich inzwischen ein ganzes Buch drüber schreiben. Abgesehen davon, dass das erste und letzte Wort im Film Zeitgeist:Addendum Jiddu Krishnamurti überlassen worden ist, der ein spiritueller Redner war (und zwar ausschließlich, ohne irgendwelchen Bezug auf künftige technische, ökonomische oder Gesellschaftssysteme), während Jacque Fresco, Peter Joseph und das TZM Global Administration Team keine Gelegenheit auslassen, Spiritualität umzudefinieren (siehe „Who is Peter Joseph“) oder gar zu bashen (Jacque: “verbal masturbation”), möchte ich zwei Punkte nennen:
– Jacques Auffassung von Wissenschaft und Wirklichkeit ist bei näherer Betrachtung auf dem Stand des 19.Jahrhunderts, als man noch glaubte, das Universum sei eine Maschine, deren Elemente sich sauber abgrenzen und deren Gesetze und Konstanten sich alle exakt bestimmen ließen. Einstein und Heisenberg haben um 1900 damit aufgeräumt, und Gödel und Turing zur Sicherheit nochmal um die Mitte des 20. Jahrhunderts nachgewischt. Die aktuelle Forschung legt außerdem nahe, dass physikalische Konstanten variable Größen sind. Im Ergebnis sind wir da angelangt, wo Buddha vor 2500 Jahren schon war: Wir können nicht alles wissen, und vor allem können wir nichts mit Sicherheit wissen. Wissenschaft erweist sich außerdem als lediglich eines von mehreren möglichen Systemen zur Erfahrung und Interpretation der Realität, was den Anspruch, Wissenschaft allein könne die Wirklichkeit korrekt abbilden, mindestens als arrogant und illusionär, wenn nicht gar gefährlich irreführend kennzeichnet. „To arrive at decisions“ (wie man sich bei TZM ausdrückt) mit Hilfe kybernetischer Maschinen ist vor diesem Hintergrund so ganz einfach nicht möglich, wie Jacque sich das vorstellt.
Wenn du mehr darüber wissen möchtest, kann ich dir Fritjof Capras Buch „Das Tao der Physik“ und den Film „Dangerous Knowledge„ empfehlen.
– Falls du Partner, Kinder, Freunde, liebe Familienangehörige hast, dann spürst du vermutlich, dass es im Leben wesentlich mehr gibt als technische Fragen. Neben Beziehungen gehören dazu Empathie, Gefühle, Intuition, Phantasie, Kreativität und Spiritualität. All das findet in Jacques Welt keinen Eingang in die Berechnungen. Was nicht mess- und ableitbar ist kann vom Computer nicht verarbeitet werden – und soll es laut Jacque auch nicht. Die rigide, militante Anti-Haltung unter vielen (gerade auch namhaften) Zeitgeistlern gegenüber den nichtwissenschaftlichen Anteilen des Lebens ergibt für ein fühlendes Wesen aus Fleisch und Blut keinen Sinn und ist weniger einladend als vielmehr bezeichnend für die Probleme von TZM und TVP, sich Freunde und Verbündete zu schaffen. Ich persönlich möchte nicht einer Gesellschaft ausgeliefert sein, in der sich Lösungen allein aufgrund technischer Variablen ergeben, ohne dass jemand danach fragt, welche Auswirkungen das auf den nichttechnischen Teil des Daseins hat, d.h. wie sich Menschen damit fühlen oder Beziehungsgeflechte ändern.
Für Vandana Shiva und viele Menschen vor allem im Süden und Osten des Globus sind nicht die Dinge an sich von Bedeutung; sie sind auch keine scharf von einander abgrenzbaren Elemente, die blind irgendwelchen Gesetzen folgen, sondern die verändlerlichen Beziehungen zwischen ihnen bilden die eigentliche Substanz des Universums. Daher werden Mineralien oder Wälder nicht einfach als „unsere Ressourcen“ betrachtet, sondern existieren aus eigenem Recht – was in der Folge einen Riesenunterschied bei der Nutzung macht. Charles Eisenstein weist nach, dass es gerade die verdinglichende, utilitaristische Ideologie und die daraus abgeleitete wissenschaftliche Methode sind, die uns den ganzen Berg an Problemen eingebrockt haben. Er beschreibt sie als zum Scheitern verurteiltes Programm zur Kontrolle der Welt; zum Scheitern verurteilt sowohl aus wissenschaftlichen (s.o.) wie auch spirituellen Gründen. Mehr Technologie und mehr Kontrolle werden aus seiner Sicht zu nur noch mehr Problemen führen. Ich übersetze gerade Teile seines Buches „The Ascent of Humanity„ ins Deutsche. Ein sehr faszinierendes und lückenlos nachvollziehbares Werk übrigens. Er und Derrick Jensen („Endgame„) graben auf der Suche nach Ursachen weitaus tiefer als Fresco und kommen zu dem Schluss, dass Zivilisation als solche das Problem darstellt, wobei sie dann allerdings völlig verschiedene Lösungen vorschlagen. Einig sind sie sich dagegen in der Analyse, dass Zukunftsvisionen wie die von TZM angestrebte – auch wenn Frescos Gesellschaftsanalyse wirklich brillant ist – den Bock zum Gärtner machen werden, weil als Medizin gegen das kranke System eben jenes Gift verabreicht werden soll, das die Krankheit überhaupt erst verursacht hat: mehr Technik, mehr Objektivität, mehr Kontrolle, mehr Zentralisierung, mehr Vereinheitlichung, mehr Globalisierung, einfach mehr Zivilisation.
Es ist leicht in diese Falle zu tappen. Ich selbst bin ihr anfangs erlegen, weil wir konditioniert sind, an Fortschritt zu glauben, an den Aufstieg der Menschheit durch fortschreitende Kontrolle der „Umwelt“, ein ideologisches Trugbild, das faktischer Grundlagen entbehrt und schlicht als Selbstrechtfertigung für die Vergewaltigung des „Nicht-Ich“ dient.
Ich könnte weitermachen damit, dass wir bei den alternativen Energiequellen eine Milchmädchenrechnung führen; dass eine eindeutige, völlig objektive Sprache weder technisch möglich noch irgendwie wünschenswert ist; dass niemand außer Peter (und vielleicht noch nicht mal der) weiß, wie’s nach dem Kollaps weitergehen soll; dass ich es zynisch finde, wenn Jacque wirklich auf Erfindungen hockt, die das Elend lindern könnten; dass den Mitgliedern verboten wird, über RBOSE und andere ex-Zeitgeistler zu reden und Links zu deren Seiten aus Forenbeiträgen gelöscht werden; dass die Zeitgeist-Filme und -Internetmedien angeblich „nicht das Movement sind“, während sie gleichzeitig intensiv promotet und mit Zähnen und Klauen gegen Kritiker verteidigt werden; dass Peter Joseph ablehnt, sich in einer Führungsrolle zu sehen, jedoch einseitig anordnet, in welchen Medien sich z.B. die Arbeisteams (nicht) treffen dürfen; dass die TZM-Führung ihren eigenen visionären Konzepten nicht traut, wenn es darum geht, die Bewegung egalitär, geldlos, politikfrei und gemäß wissenschaftlicher Standards zu organisieren usw. usf.
Das sind natürlich alles meine Probleme, die dich nicht betreffen müssen. Ich glaube aber, dass man zumindest wissen sollte, womit man es im eigenen Stall zu tun hat – und in diesem Fall, warum eine oberflächlich besehen so elegante Idee wie die von The Zeitgeist Movement vertretene massiv Probleme mit Aussteigern, inneren Kritikern und allgemeiner Akzeptanz hat.