Wenn in Büchern und Filmen über sogenannte swing-by-Manöver gesprochen wird, fällt häufig die Bemerkung, dass ein Raumfahrzeug, das beispielsweise das Schwerefeld des Jupiter zur Geschwindigkeitsgewinnung benutzt, dem Planeten etwas Energie abzwackt. Das habe aber auf diesen keinen Effekt, da das Vehikel gegenüber dem Planeten so klein sei, dass man nichts davon bemerke. Mit anderen Worten: Es macht was aus, aber es liegt jenseits der Messbarkeit unserer Geräte… also macht es nichts aus.
Mit exakt derselben Einstellung haben Menschen in den vergangenen zwei Jahrhunderten die Erde ruiniert: ein paar Fässer Giftmüll kann die Nordsee gut verkraften; mein Kind ist nicht Teil der Bevölkerungsexplosion; es gibt genug Fische, da kommt es auf einen weiteren Fangzug nicht an; die Abgase eines Autos verteilen sich doch mit dem Wind; einmal ist keinmal; usw.
Wir haben Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass „das bisschen“ Eindruck, das wir hinterlassen, tatsächlich Auswirkungen nach sich zieht und dass sich diese Auswirkungen, so klein sie auch sein mögen, mit der Zeit summieren. Wir brauchen hier noch nicht einmal auf den (ebenfalls schwer vorstellbaren) Schmetterlingseffekt zurückgreifen. Simple Strichrechnung tut’s auch.
Und damit sind wir schon bei den sogenannten alternativen Energiequellen.
Es ist derzeit sicher anzuraten, weniger fossile Quellen zu verfeuern und stattdessen erneuerbare Energien anzuzapfen. Es wäre nachhaltiger – mit Betonung auf der relativierenden Endung. Holz und Dung sind ebenfalls erneuerbar, doch ihre Verbrennung hat bereits erheblich zur Luftverpestung beigetragen. Erneuerbar ist nicht gleich umweltneutral.
Sicherlich finden wir etwas besseres? Schauen wir uns einige der gängigen Alternativen an: Solarenergie, Windkraft, Wasserkraft, Wellenkraft, Gezeitenkraft, Geothermie.
Solarenergie
Sonnenkraft, egal ob solarthermisch oder photovoltaisch aufgefangen, wandelt Licht letztenendes in Wärme und elektrischen Strom um. Die Einstrahlung einer Stunde würde, vollständig genutzt, den derzeitigen Energiebedarf der Menschheit für ein Jahr decken. Das ist toll für uns, denn die Umwelt braucht ja nicht so viel Energie.
Wirklich nicht?
Nun, würde es uns gelingen, die komplette Sonneneinstrahlung – oder auch nur einen signifikanten Teil – für unsere Zwecke umzuwandeln, wäre das Ergebnis desaströs. Denn die Photosynthese der Pflanzen, die Wolkenbildung und die Bewegungen des Windes (der Sauerstoff und Wasser verteilt) wären stark beeinträchtigt oder gar unterbunden.
Sehr viel Sonnenlicht, das sonst zurück ins All reflektiert worden wäre, wird durch Sonnenkraftwerke in Form elektrischen Stroms und Abwärme auf der Erde freigesetzt, was für sich genommen schon Ungleichgewichte erzeugt. Zusammen mit der Unterbrechung der o.g. Kreisläufe ergäbe sich ein umwerfender Cocktail unangenehmer Rückkopplungen.
Windkraft
Die Bewegungsenergie des Windes, aufgefangen von Rotoren, stammt aus den Druckunterschieden in der Atmosphäre, und diese wiederum entstehen durch regional unterschiedliche Erwärmung der Luft mit Hilfe der Sonneneinstrahlung. Windenergie ist letzlich Sonnenenergie. Würde es uns allerdings gelingen, die gesamte Energie des Windes einzufangen, d.h. Bewegung in Elektrizität umzuwandeln, brächten wir die Luft zum Stillstand und damit die Verteilung von Wasser und Sauerstoff. Städte wie Stuttgart, die bereits Erfahrung mit Störungen der Luftzirkulation machen durften, finden: Keine so gute Idee.
Wasserkraft
Auch Wasserkraft stammt letztlich aus Sonnenenergie, da es die Wärmeverdunstung des Wassers und von der Sonne erzeugte Luftströmungen waren, die ein Abregnen an hochgelegenen Stellen ermöglichte.
Über Staudämme kann man denken was man möchte. Manche Talsperre mag ganz ansehnlich sein, oder sogar beeindruckend wie der Hoover- oder der Assuandamm. Wasserturbinen erzeugen keine Abgase. Ein weiterer Vorteil. Ihre Energie beziehen die Schaufelräder aus der Lageenergie des Wassers, die sich beim zu-Tal-Fließen in Bewegungsenergie verwandelt. Dämme aber halten das Wasser auf, bremsen es aus, und seine Energie, die sonst Gestein erodiert und andernorts als Schlamm wieder anlagert, wird in Strom verwandelt. Die Störung der Bodenbildung, der jahreszeitlichen Abläufe, des Salzhaushalts, der Nährstoffverteilung und Wasserversorgung ist erheblich.
Wellen- und Gezeitenkraft
möchte ich gemeinsam behandeln, da ihre Effekte den Wasserkörper gleichermaßen beeinflussen. Wellenkraftwerke nehmen Bewegungsenergie von der Oberfläche großer Gewässer ab, Gezeitenkraftwerke im Wasser selbst. Die vollständige Umwandlung ozeanischer Bewegungsenergie in Elektrizität brächte den Kreislauf des Wassers global zum Erliegen. Da schon kleine Inseln (siehe Karibik) oder Sandbänke (z.B. Doggerbank) oder unterschiedliche Erwärmung (Neufundland) Strömungen beeinflussen, braucht es vermutlich gar nicht so viel Einsatz, natürliche Systeme zum Kollaps zu bringen – und damit ihre Fähigkeit, Treibhausgase zu absorbieren, Wassertiere und -Pflanzen mit Sauerstoff zu versorgen etc. Diese Form der Energiegewinnung ist also ebenfalls nicht umweltneutral.
Geothermie
Erdwärme ist, intensiv genutzt, gleichenfalls gefährlich. Wärme, die in den Boden gehört, sammelt sich in der Atmosphäre, während die Abkühlung unter unseren Füßen langsam aber sicher die Magmakreisläufe zum Erliegen bringt, und damit die Kontinentaldrift, ohne die es keine Erneuerung der Erdoberfläche gibt und keine neuen Nährstoffe für ihre Lebewesen. Ohne Plattentektonik würden die Kontinente so lange erodieren, bis die Oberfläche der Erde zu hundert Prozent aus Wasser bestünde – was ziemlich langweilig wäre 😉
Wir sind natürlich nicht annähernd so weit, durch den Gebrauch alternativer Energiequellen sichtbare Konsequenzen zu erzeugen; und ganz so einfach lassen sich diese Konsequenzen auch nicht ableiten, aber die Hochrechnungen in den Extremfall einer vollständigen Energieausbeute zeigen trotzdem, dass keine Quelle umweltneutral ist. Effekte addieren sich vom ersten Tag an auf und wechselwirken mit anderen Kreisläufen, so dass bei weiterer Steigerung der Energieproduktion mit ähnlich chaotischen Folgen zu rechnen ist, wie beim Verbrennen von Erdöl.
Hinzu kommt: Energie kann niemals vernichtet werden; nur in andere Formen verwandelt und an andere Stellen transportiert. Das heißt, dass jede Kalorie, die man einem natürlichen Kreislauf entzieht, an einer anderen, wahrscheinlich weniger günstigen Stelle wieder auftaucht, der Erfahrung gemäß meist als Wärmeenergie.
Lasst uns also bitte nicht über Kernspaltung oder -Fusion diskutieren.
Wir haben (noch) kein Problem mit der Energieversorgung. Energie ist überall, in mannigfaltigen Formen und in übergroßer Fülle. Die Frage ist nicht so sehr, woraus wir unsere Energie gewinnen sollen, als vielmehr die Menge, die wir umsetzen. Energie sollte unsere kleinste Sorge sein – denn unser eigentliches Problem besteht in unserer Einstellung zum Leben, unserer Weltsicht.
Der globale Stromverbrauch wächst jährlich um 2,3%. Das heißt, dass er sich alle 30 Jahren verdoppelt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die exponentielle Kurve tatsächlich nach hundertprozentiger Ausnutzung „alternativer“ Energiequellen verlangt.
Im Paradigma unbegrenzten, stetigen Wachstums ist buchstäblich alles gefährlich, was wir beginnen. Um so mehr, als wir mit fortschreitender Monetarisierung der Welt immer bessere Ergebnisse im Verdrängen der Folgen erzielen. Wo zwischen uns und einem Gut oder einer Dienstleistung Geld steht, entfremden wir uns der seelischen, geistigen und materiellen Verwüstungen, die unser Handeln verursacht. Umweltfreundliche bzw. umweltneutrale Energie scheint nur deshalb neutral, weil wir – mal wieder – eine Milchmädchenrechnung aufmachen, die besagt, dass wir kleinere Verluste wie z.B. die Bahnänderung des Jupiter vernachlässigen können. Arsch lecken. Weitermachen.
Aber nichts was wir tun ist neutral. Alles hat Auswirkungen. Wenn wir es ernst meinen mit der Schonung der Umwelt, dann gibt’s nur eins: Energie sparen, kleinere Brötchen backen.