(In Beantwortung eines Kommentars)
Einen kleinen kulturellen Schock – oder sagen wir lieber: eine Irritation – erleben wir wohl alle, wenn wir aus dem Ausland zurückkommen. Es liegt vielleicht daran, dass uns nach dem Verlust der Gewohnheitsscheuklappen erstmals wieder auffällt, was uns als Deutsche ausmacht. Nachdem wir gelehrt worden sind, wie man Dinge auch anders erledigen kann, amüsieren bzw. ärgern wir uns über Verbohrtheit, Kleinkariertheit und wasnichtall, mit denen man in Deutschland aus der Wäsche schaut. Gehört im Moment dazu. Wohl wahr.
Aber es ist auch kein Geheimnis, dass ich überhaupt nichts mehr als gegeben hinnehme. Zwar sehe ich es nicht als meine Aufgabe, mehr als mich selbst zu ändern, um einen Wandel zu bewirken. Wenn es jedoch überhaupt einen Grund gibt zu schreiben, der über das Persönliche hinausgeht, dann den, mit meinen subjektiven Beobachtungen den Leser ähnlich zu irritieren, als käme er aus dem Ausland zurück.
Es ist z.B. schwer jemandem aus der Kultur des Geldverdienens zu erklären, weshalb jemand etwas aufgeben möchte. Wir sind schlechte Verlierer. Wir lassen nicht gern los. Wir glauben in geradezu religiöser Weise an Fortschritt; und etwas Erreichtes, das hält man für immer fest.
Wenn du hinter die Kulissen ökonomischer Notwendigkeiten und wissenschaftlichen Objektivismus schaust, die man um Himmels Willen nie in Frage stellen darf, dann entdeckst du vielleicht, dass diese Kultur auf Existenzangst gegründet ist. Im marktwirtschaftlichen Wettbewerb sind wir nonstop damit konfrontiert. Ständig machen wir uns um die Zukunft Sorgen. Wettervorhersagen. Wahlprognosen. Die Einschätzung einer Freundin zu deinen Jobaussichten. Dein Partner verlässt dich, und schon drängt die Angst wieder an die Oberfläche. Selbst bei so harmlosen Dingen, wie deinen Namen unter einen Text zu setzen, zeigt sich die Furcht vergessen zu werden, bedeutungslos zu sein.
Psychische Angst (anders als ein Gefahrenreflex) ist kein natürlicher Zustand, sondern ein kulturelles Phänomen. Es würde selbst in Kürze zu weit führen, das herleiten zu wollen und du darfst es gern anzweifeln.
Das Lustige ist nur, dass sich diese “Theorie” über Jahrtausende und Völkergrenzen hinweg als persönliche Erfahrung wiederholt, sobald Menschen beginnen ihr Innenleben zu erforschen. Solchen Leuten musst du nicht erläutern, dass alles, wirklich alles Leid der Welt mit Wünschen und Begierden, also in unserem Kopf entsteht, und dass es endet, wenn das Wünschen endet – nicht in der Theorie, nicht im übertragenen Sinne, sondern ganz real.
Interessiert einen dann überhaupt noch was? Hat man noch Hobbies? Ist man in der Lage zu arbeiten? Beteiligt man sich weiterhin an Bemühungen zur Erhaltung unserer Welt? – Diese Fragen bewegen sowohl den Außenstehenden als auch den Aspiranten auf seinem Pfad, aber am Ende werden sie sich als irrelevant erweisen, denn es stellt sich zunehmend ein neues Gleichgewicht ein, unter dem derlei Befürchtungen keine Grundlage mehr haben.
Während des Prozesses machen sich die positiven Effekte des Wandels schnell bemerkbar. Depressivität, Griesgrämigkeit, Furcht, Aggression, eigentlich alle Arten von Gefühlen, Vorstellungen und Werten lösen sich fortschreitend auf. Aber es bedeutet gleichzeitig, dass 99% dessen, was Menschen unserer Kultur normalerweise für real halten, als Illusion erkannt wird. Zuallererst sämtliche Formen sprachlicher Äußerung.
Ja, das Schreiben scheint meine Begabung zu sein. Ich kann nicht sagen, ob ich “gut” bin; das hängt von den Erwartungen des Lesers ab. Ich weiß nur, dass es raus will. Die Frage, die ich mir dabei stellen muss, ist, woher diese Regung kommt. Ist sie eine Äußerung des Ego und seiner Wünsche, oder Ausdruck einer inneren Wahrheit?
Wenn Furcht vor Verlust des Besitzstandes (der Fähigkeit zu schreiben) besteht, ist das ein eindeutiges Zeichen. In dem Fall erzeugt sie Leid und wird zusammen mit dem Ego verschwinden. Im anderen Fall kann sie, richtig angewendet, ein Vehikel zur Verbreitung inneren Friedens werden.
Jemand, der diese Zusammenhänge ungeheuer anschaulich erklären kann und den ich deshalb immer mal wieder erwähne, ist Adyashanti. Die erste halbe Stunde des folgenden Films ist bereits aufschlussreich.