Himmel hinter Stacheldraht

Himmel hinter Stacheldraht

“Gescheitert” lautet das letzte Wort eines Merian-Artikels über Auroville. FAIL also, wie eine Freundin zu sagen beliebt, nur halt auf Seiten des Schreibers, der ein paar einfache, aber entscheidende Fakten falsch recherchiert hat. Hätte er sich die Mühe gemacht, die offizielle Website zu besuchen, wäre ihm klar geworden, dass der Sri Aurobindo Ashram Pondicherry und die Cité d’Auroville zwei räumlich, personell und organisatorisch getrennte Einheiten sind, die einander nichts vorzuschreiben haben. Er hätt auch jemand fragen können, z.B. seinen ungenannt bleiben wollenden Informanten. Vor Ort hat er darüber hinaus einige Hinweisschilder ausgeblendet, sonst hätte er gleich gesehen, dass Kurzzeitbesucher das Matrimandir nur von der Plattform aus bewundern dürfen, weil es eben kein touristisches Objekt ist, sondern eine Stätte der inneren Einkehr. Ganz recht, man hegt Sorge, “die meditative Stille werde zerstört”. Fotografieren innerhalb der Peace Area sogar für Aurovilianer verboten.
Einen besseren Blick hätte (und hat) er allerdings von da gehabt, wo er sich bücken musste, um durch den pöhsen Zaun zu fotografieren, oder von der Townhall aus. Ich gebe ja zu, dass meine Berichte durch meine Begeisterung für die Township gefärbt sind, aber Artikel und Fotoserie zeichnen ein für ein renommiertes Magazin wie Merian unangemessen gewolltes Bild.

36 Nationen seien vertreten – vielleicht ein Tippfehler. “Exakte Zahlen werden von der Leitung nicht mitgeteilt” ist definitiv keiner. Die Angaben sind öffentlich. Laut Aushang in der Townhall leben in Auroville Menschen aus 46 Nationen. Kein Staat wird von der Teilnahme ausgeschlossen. Von den anvisierten 50.000 Einwohnern sind 2000 nicht “übrig geblieben”, sondern bei konstantem Wachstum erreicht (und um fast 10% überschritten).
Man darf als Besucher auch nicht nur das Visitor Center sehen. Die Stadt steht für Fußgänger und Zweiradfahrer offen. Wenn man sich wirklich für Auroville interessiert, dann braucht man nicht mit dem Presseausweis winken, in der Hoffnung, als wichtig eingestuft zu werden. Man fragt einfach einen Passanten nach dem Weg wohinauchimmer, wobei man meist schon von selbst ein Gespräch aufgedrückt bekommt. Oder man streckt den Daumen raus. Oder man mietet sich für ein paar Tage in eines der Guesthouses ein. Wer sich dann noch beschwert, er bekomme keinen Kontakt zur Bevölkerung… ich weiß nicht.
Der Artikel stellt aus meiner Sicht eine verpasste Gelegenheit dar, Sturköpfen und Scheuklappenträgern in Auroville einmal einige grundlegende Probleme vor Augen zu führen. Am besten direkt mit Lösungsansatz. Dafür sollte man sich jedoch schon näher mit den Idealen ebenso wie mit dem wirklichen Leben dieser Stadt befasst haben. Das geht nicht, indem man mal eben mit dem Bus einen Tagesausflug macht, weil man grad an Pondy vorbeigekommen ist.

Obwohl es in allen möglichen schon drin steht, gehört Auroville eigentlich auch nicht in einen Reiseführer für Ausflugstouristen. Auroville ist kein Freilichtmuseum, sondern eine lebendige, experimentelle, zielorientierte Kommune mit spirituellem Hintergrund. Hier ist manches anders, hier geht auch manches schief. Man kann es meinetwegen ablehnen. Aber man nehme doch bitte die Natur des Projekts zur Kenntnis, damit man von Dingen redet, von denen man etwas versteht. Ein Satz wie: “Eine soziale Utopie der Gleichheit aller, die nicht frei zugänglich für alle ist, ist ohnehin längst gescheitert” zeigt, dass das hier versäumt worden ist. Das Soziale stellt lediglich ein Element im viel größeren, holistischen Konzept Aurovilles dar. Ebenso Gleichheit, zu der sich auch Freiheit, Verantwortlichkeit und Spiritualität gesellen müssen, damit daraus ein Stück wird. Eine Gemeinschaft, die sich Motzköppe, Egozentriker und Querulanten ins Boot holt, ist eine Totgeburt.
Die Mutter wusste schon, warum sie für die Aufnahme eine simple, leicht zu erfüllende Kleinigkeit verlangt hat. Im Visitor Center steht auf großen Tafeln zu lesen: “Greetings from Auroville to all men of good will. Are invited to Auroville all those who thirst for progress and aspire to a higher and truer life.”
Sie waren nicht auf der Suche, Herr Bozi, oder?

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