Wir alle kennen die Auswirkungen totalitärer Politik, entweder aus eigener Anschauung oder aus Berichten. Faschismus, Realsozialismus oder Militärdiktaturen sind neuere Beispiele für totalitäre Systeme. Sie sind Ausdruck des Glaubens, dass es nur einen richtigen Weg gebe, dass dieser für jedermann zu gelten habe, dass es deshalb unsere Aufgabe sei ihn zu verbreiten, wenn nötig mit allen Mitteln und gegen jeden Widerstand. Stets aufs Neue, oh Überraschung, stellen wir fest, dass das eine Täuschung ist, ein Extremismus.
Extremen Auffassungen begegnet man bei näherem Blick weit öfter, als es auf den ersten Blick auffällt. An ihre Gültigkeit wird gelegentlich auf breiter Basis unbesehen geglaubt. Totalitär werden sie erst, wenn man sie auf totalitäre Weise durchsetzt: durch Lächerlichmachung, Verunglimpfung, Falschzitierung und anderen Formen des Rufmords bis hin zu Gewalttätigkeiten gegenüber ihren Widersachern.
Es gab z.B. lange Zeit totalitäre Kultur. Was Kunst ist und was nicht, das bestimmten Autoritäten aus Kunst und Politik, meist aber Mäzene oder Kritiker.
Totalitäre Landwirtschaft bezeichnet jene Form von Agrarwesen, die mit der neolithischen Revolution vor ca. 10.000 Jahren eingeführt worden und deren Maxime die Ertragsoptimierung ist. Sie wird in allen zivilisatorisch erreichten Gebieten bis in die Gegenwart betrieben. Landwirtschaft an sich ist keine Erfindung der Zivilisation. Es gab sie lange vorher. Es gibt sie in Stammesgesellschaften und alternativ lebenden Kommunen auch heute noch.
Das Besondere der totalitären Landwirtschaft ist, dass sie den persönlichen Besitz von Land (und anderen Sachen) einführte. Sie begann Nahrung wegzuschließen. Sie vertreibt alle sonstigen Gewächse zugunsten von Nutzpflanzen. Sie jagt Futterkonkurrenten zu Tode, versucht sie auszurotten und drückt auf diese Weise den uneingeschränkten Anspruch des Menschen auf sämtliche verfügbaren Ressourcen aus. Vielleicht glauben wir nicht mehr an einen Gott, der uns als Krone der Schöpfung erschaffen hat. Aber dass alles nur zu unserem Nutzen hier ist, daran hegen wir keinen Zweifel. Macht euch die Erde untertan. Noch immer sind wir mit der “Eroberung” der Wüste, des Regenwaldes, der Hochgebirge, der Tiefsee, der Pole, des Erdinneren, der oberen Atmosphäre und inzwischen auch des Weltalls beschäftigt. Wir führen den totalen Krieg gegen eine Umwelt, von der wir uns als getrennt betrachten.
In Stammesgesellschaften gibt es keine solchen extremistischen Erscheinungen. Es gibt wohl Krieg, aber keinen Vernichtungskrieg. Es gibt wohl Führer, aber keine unumschränkten. Es gibt wohl Landwirtschaft bei den sogenannten Primitiven. Aber erst totalitäre Landwirtschaft ermöglichte den Aufbau unserer Zivilisation. Auch sterben gelegentlich einzelne Spezies aufgrund menschlicher Aktivitäten aus, doch nie massenhaft. Und es sind weder Vorsatz noch Gleichgültigkeit der Grund, sondern schlicht Fragen des Überlebens.
Der Glaube an den Nutzen der Zivilisation ist an sich totalitär. Wir kritisieren vielleicht die Atombombe. Wir sind besorgt wegen der Umweltzerstörung. Wir fühlen uns manchmal, vielleicht sogar oft, unseren Mitmenschen entfremdet. Aber wozu wir die Zivilisation, die all das mit sich bringt, brauchen – können wir es sagen?
Totalitäre Ökonomie ist integraler Bestandteil dieser Zivilisation. Alle Materie ist Eigentum des Menschen. Darüber hinaus hat sich heute das gesamte Leben, öffentlich wie privat, dem Monetären unterzuordnen. Wer nicht arbeitet bekommt auch kein Geld. Wer kein Geld hat braucht auch nicht essen. Was sich nicht finanziell bezahlt macht, davon lässt man die Finger. Auf diesen Regeln beruht unser Alltagsverhalten, und zwar auch dann noch, wenn Milliarden vor dem Hungertod stehen und der ganze Planet vor die Hunde zu gehen droht. Geld, seine Herkunft, seine Wirkung und sein Gebrauch wird grundsätzlich nicht in Frage gestellt.
Die Triebfeder totalitärer Ökonomie ist totalitärer Egozentrismus. Er stützt das System und wird gleichermaßen von ihm erzeugt. Dass jeder zuerst nach den eigenen Schäfchen schaut ist längst Allgemeingut. Gelobt sei, was das eigene Wohlbefinden stärkt, insbesondere Besitz, Macht, Ansehen und Selbsteinschätzung. Werden sie bedroht, können wir sogar staatliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Egozentrismus äußert sich u.a. in Individualismus. Dem Glauben, dass der Einzelne ein von seiner Umwelt getrenntes Ding sei, einzigartig noch dazu. Wie dieser Einzelne ohne seine Umwelt existieren soll, ohne Atemluft oder die ihn mit Produkten versorgende Gesellschaft – wen interessiert’s? Und was macht doch gleich unsere individuelle Einzigartigkeit aus? Der schicke Ohrring? Das Bankkonto? Der Musikgeschmack? Freunde? Intelligenz? Ist da etwas, das völlig aus uns selbst kommt, unbeeinflusst von Erlerntem und Erlebtem und abgeschnitten von jedem größeren Ganzen?
Religionen sind per Definition totalitär, weil sie keine anderen Götter, keinen abweichenden Glauben und keine neuen Erkenntnisse zulassen. Widerspruch bedeutet schwerst zu bestrafende Sünde der Ketzerei, gar Gotteslästerung. Das trifft insbesondere auf die Buchreligionen zu. Klassischer Buddhismus, als spirituelle Anleitung keinem Gott verpflichtet, stellt eine Ausnahme dar. Da er keines Glaubens bedarf bzw. seine Inhalte durch Glaube nicht zu erschließen sind, sondern nur durch persönliche Erfahrung, ist er eine nicht-exklusive Form des Erkenntnisgewinns.
Anders sieht es mit der Wissenschaft aus. Forschung wird heute normalerweise totalitär betrieben. Nur das, was Wissenschaft verifiziert hat, darf als wahr gelten, wobei sie die Regeln dafür selbst aufstellt. Andere Methoden der Wahrnehmung bzw. Verarbeitung von Informationen werden zurückgewiesen, gelten als Spinnerei, Selbsttäuschung, Illusion, Betrugsversuch sogar. So als ob das Auge sagte: Musik existiert nur in unserer Einbildung, denn man kann sie nicht sehen.
Doch möglicherweise sind Teile der Realität für wissenschaftliche Methoden unzugänglich. Möglicherweise fußt sogar das ganze System logischen Denkens auf einer einzigen fehlerhaften Beobachtung oder Annahme.
Ich sage nicht dass es so ist. Aber die Gefahr besteht, dass durch die beiden Grundbehauptungen, dass wir uns im Universum befänden und sich dieses lediglich aus Energie und Materie zusammensetze, eine einseitige Sicht, ja sogar lebensfremde Illusion von der Natur der Dinge geschaffen wird.
Das könnte einige Ungereimtheiten erklären, etwa die Unvereinbarkeit zwischen Relativitätstheorie und Quantenmechanik; oder weshalb sich die natürlichen Konstanten ändern; welche Kraft aus einem Klumpen Materie ein Lebewesen macht; die Beziehung der inneren Realität des Menschen zu seiner als außen wahrgenommenen, usw.
Wenn von Seiten der Wissenschaft alles hinterfragt wird außer den eigenen Grundlagen, dann könnte sich eines Tages herausstellen, dass Jahrhunderte der Bemühungen für die Katz gewesen sein werden.
Rufen wir uns zudem in Erinnerung, dass Wissenschaft der willige Gehilfe totalitärer Ökonomie geworden ist. Sie läßt sich von ihr vereinnahmen, privatisieren, aushalten, damit wir der Natur mit jedem Schritt ein weiteres Geheimnis “entreißen” können, welches unsere Vormachtstellung zementieren hilft. Auch Fortschrittsgläubigkeit ist eine Religion.