Baujahr ’71, aufgewachsen im Nordschwarzwald, 1998 in die Kölner Gegend verschlagen worden und dort hängengeblieben. Diplom-Bibliothekar an wissenschaftlichen Bibliotheken, examinierter Altenpfleger. Auch schon am Fließband, am Bau, in der Logistik und der Zustellung beschäftigt gewesen. Schließlich fünf Jahre auf eigene Kappe marktfahrender Händler.
Fazit: Ausgebeutetwerden war nicht ganz mein Traumberuf.
Und so bin ich, es war vielleicht November 2008, zu der Einsicht gekommen, dass passive Abwehr gegen den gierigen Griff der Gesellschaft nicht genug ist, genau so nutzbringend wie Talismane und Gebete und Wunschdenken.
Als ich im Anfang ’09 auf die Zeitgeist-Filme gestoßen bin, war ich wie elektrisiert, denn der Problemkreis der gegenüber dem technischen Fortschritt zurückbleibenden sozialen Entwicklung beschäftigt mich seit ich denken kann. Lösungen beginnen sich klar abzuzeichnen; im Grunde liegen sie schon lange auf der Hand. Und heute kann ich an praktisch nichts Anderes mehr denken. Eigentlich sollte ich mich in Vollzeit damit befassen.
Warum ’sollte‘? Ich habe meine Möglichkeiten an einer Lösung zu arbeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Werde ich warten, bis Andere mir eine persönliche Einladung schicken?
Zum Jahresende 2009 möchte ich mein Gewerbe und den Haushalt auflösen. Vom meisten Besitz werde ich mich trennen, die Schulden vollends abbezahlen. Die restlichen Kleinigkeiten werden erstmal irgendwo untergestellt.
Ab Anfang April 2010 gehe ich nach Auroville in Indien. Zunächst einmal möchte ich mich dort umsehen, aber wenn der Ort hält was er verspricht, dann wird das auch mein fester Wohnsitz.
Denn jeder Handgriff, den ich für die westliche Gesellschaft tue, anerkennt nicht nur den status quo, sondern beschleunigt direkt oder indirekt die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Mit diesem Wissen ist mir ein Verbleib in der westlichen Welt unmöglich. Und da es hier keinen Weg gibt, den Gebrauch von Geld zu umgehen, habe ich mich nach Alternativen umgeschaut.
Es geht hier wohlgemerkt nicht um Flucht vor der Staatsmacht oder vor persönlichen Problemen. Ich muss den logischen nächsten Schritt tun. Mein Ziel ist ein Ort, wo Menschen die Genesung der Biosphäre betreiben, wo Lernen zum Alltag gehört und wo das Zusammenleben auf Respekt aufbaut.
Solch ein Ort ist Auroville.
Torschlusspanik. Müdigkeit. Überdruss. WG-Stress. Chronische Liquiditätsstörungen. Generelle Unzufriedenheit. Perspektivlosigkeit…
Negativgründe hätte es bis vor einem Jahr zuhauf gegeben. Unbestreitbar konnten mich diese selbst mit geballter Kraft nicht in Bewegung setzen. Es reichte mir einfach nicht, dass sich etwas ändert – es musste eine Veränderung zum Besseren werden. Was es brauchte war mehr als nur die Ablehnung des Ist-Zustandes und mehr als nur Furcht vor der Zukunft. Wenn der tägliche Konkurrenzkampf aufhört und der Schmerz ständigen Verwundetwerdens nachlässt, dann muss da ein positives Ziel vor Augen stehen. Etwas, das sich anzustreben, etwas, für das es sich zu leben lohnt.
Dass ich an diesen Punkt gefunden habe, verdanke ich Fritz, Mäc, Jesse und Emmy, dem Material, das ich von ihnen bekommen habe und den Diskussionen, die wir geführt haben. Es ermöglichte mir zu den Wurzeln meines Unwohlseins, meines Michfremdfühlens vorzudringen, um überhaupt erst zu bestimmen, was ich dagegen unternehmen könnte.
Ich möchte lernen, mich als Gleicher unter Gleichen einzufügen; auf einer Augenhöhe, nicht als Führer, nicht als Untergebener, möchte Teile meines Selbst entdecken, die im Laufe meiner Entwicklung verschüttet wurden. Denn dann sollte es auch möglich sein, Teil von etwas Größerem zu werden und Einheit zu fühlen statt sie nur intellektuell zu verstehen. Ich möchte auf eine Weise leben, die der Erde nützt statt ihr Wunden zu reißen, und Techniken erlernen, mit deren Hilfe das Elend dieser Welt geheilt werden kann.
Ich hab mir ein paar Monate Zeit gelassen, mit den Neuigkeiten rauszurücken. Ich wollte mir sicher sein, dass es mehr ist als eine momentane Schwärmerei. So weiß ich jetzt, dass ich bereit bin alles aufzugeben, denn da ist kein Bedauern, kein Gefühl von Verlust. Neue Umgebungen haben immer enorm Energie in mir freigesetzt. Von daher wird allein der Umzug viel bewegen. Rechnet man die Atmosphäre eines Ortes wie Auroville hinzu… aber ich will’s nicht verschreien.
Sagt nicht, ich wäre mutig. Überwindung von Trägheit -ja. Konfrontation mit unterschwelligen Ängsten -ja. Aber seit ich weiß, dass es geschehen wird, fühlt sich alles richtig an. Mut muss man nur entwickeln, wenn man aus einer gesicherten Umgebung fortgeht. Einer, der entweder verzweifelt oder engagiert genug ist, sieht Luftveränderung eher als Chance. Überzeugungstäter sind alles andere als Helden.
Ich war bis vor einem Jahr Pessimist (schlimmer: Zyniker). Dann fielen alle Puzzlestücke wie von selbst an ihren angestammten Platz. Praktisch alles, was ich seither geschrieben habe, erklärt, wie ich an diesen Punkt gekommen bin. So abgehoben, so philosophisch, so weltfremd es sich angehört haben mag, es war persönlich gemeint, weil es Bezug zum Alltag hat.
Man könnte Auroville in die Schublade „intentional community“ stecken, würde es aufgrund seiner Größe reinpassen. Derzeit leben dort 2000 Menschen aus 40-50 Ländern in aller Welt. Etwa 5000 Leute kommen täglich von den umliegenden Dörfern zum Arbeiten hin. Der Lebensstandard bewegt sich auf modernem Niveau, aber viele verzichten freiwillig auf jegliche Art von Luxus. Manche wohnen in Baumhütten. Motorisierter Verkehr wird vermieden und auch der Gebrauch von Geld auf ein Minimum reduziert. Im Großen und Ganzen arbeitet man für das Gemeinwohl und erhält im Gegenzug Anspruch auf Versorgung, was dem Zeitgeist-Konzept sehr nahe kommt, nur eben auf technologisch niedrigerem Niveau. Es ist ein Geben und Nehmen, untereinander und gegenüber dem Umland sowie der Natur.
Ich möchte an dieser Stelle nicht auf den geistigen und spirituellen Hintergrund eingehen. Das würde zu weit führen. Aber ich kann einen Film empfehlen:
Auf intentional communities bin ich zuhauf gestoßen. Für mich persönlich ergibt jedoch nur Auroville Sinn. Es kommt natürlich darauf an, was jemand erreichen möchte. Ich sage daher nicht: Haut alle ab, so schnell ihr könnt. Eine Überlegung wär’s aber wert, besonders, wenn man auf konventionellem Weg nicht mehr weiter kommt.