B.Traven – Das Totenschiff

B.Traven – Das Totenschiff

Woher ich dieses Buch habe – ich weiß es nicht mehr, so lange ist es schon in meinem Besitz. Muss wohl zu den ersten meiner Sammlung gehört haben und stammt vermutlich aus dem kleinen Zimmer im Haus meiner Großeltern, wo mein Onkel beim Auszug einige Dinge zurückgelassen hatte.

Mehrere Male habe ich versucht es zu lesen. Wie ich mich kenne, war ich scharf auf Gespenstergeschichten, Horrorbücher oder Nachtmahrphantasien, wurde aber vom Totenschiff enttäuscht, denn schon allein die Sprache tendiert in eine andere Richtung.
Seitdem steht das Buch schon bald 10 Jahre unberührt zwischen etlichen anderen. Vor drei Tagen zog ich es heraus und verschlang es.

Der Held, ein Seemann aus New Orleans, der so unvorsichtig war, im Antwerpen der 1920er Jahre die Ausfahrt seines Schiffes zu versäumen, gerät in die Mühlen staatlicher Bürokratie. Von da an beginnt eine Odyssee durch die Amtsstuben halb Europas, wo man überall auf den Erhalt von Recht und Ordnung bedacht ist. Ein Fremder ohne Papiere passt da schwerlich hinein. Treuer Dienst für den Paragraphendschungel erlaubt auch nicht die Ausstellung neuer Papiere und so kann der unerwünschte Seemann regulär weder ausreisen noch bleiben, sondern wird wiederholt abgeschoben.
Schließlich landet er auf einem “Totenschiff” (wie er es nennt), dem alten Seelenverkäufer Yorikke, den er, weil er zum Staatenlosen, zum Ausgestoßenen geworden ist, nicht mehr verlassen kann. Er ist dort gezwungen, unter unmenschlichen Bedingungen zu leben und zu arbeiten. Auf einem “Eimer”, der ganz offensichtlich für den Untergang bestimmt ist und dessen Mannschaft den Traum vom Leben ausgeträumt hat, bewahrt er seinen speziellen Humor als todgeweihter Lebender unter den lebenden Toten.

Zu lachen hat er genug, denn die Absurditäten des Alltags ebenso wie die Scheinheiligkeit seiner Zeitgenossen begegnen ihm nicht nur auf Schritt und Tritt, er wird zu ihrem Spielball.
Sprache und Handlung erinnern an Grimmelshausen. So ist oberflächlich besehen Das Totenschiff sehr amüsant zu lesen. Aber ähnlich wie beim Simplicissimus steckt Zunder hinter der Sponti-Logik des Seemanns, seiner oft naiven Sicht der Dinge, mit der er preussischen Kleingeist der Lächerlichkeit preisgibt:

[auf einem französischen Polizeirevier]
“Wollen wir erst mal die Personalien festhalten.”
Gut, wenn sie nur die Personalien festhalten, das ist mir lieber, als wenn sie mich festhalten.
“Nationalität?”
Eine heikle Frage jetzt. Ich habe so ein Ding nicht mehr, seitdem ich nicht beweisen kann, dass ich geboren bin…
“Ich bin ein Deutscher” platzte ich nun ‘raus; denn mir kam ganz plötzlich die Idee, dass ich doch mal sehen möchte, was sie mit einem Boche machen, wenn sie ihn ohne Pass und ohne Fahrkarte in ihrem Lande finden…
“Warum haben Sie denn keinen Pass?”
“Den habe ich verloren.”
Nun ging es die ganze Reihe wieder herunter. In jedem Lande haben sie genau dieselben Fragen. Hat einer vom andern abgeschrieben. Erfunden wurden sie wahrscheinlich in Preußen oder in Russland, denn alles, was sich um Einmischung in Privatverhältnisse eines Menschen handelt, kommt aus einem der beiden Länder.. Da sind die Leute am geduldigsten und lassen sich alles gefallen, und vor einem blanken Knopf nehmen sie die Mütze ab. Denn in jenen Ländern ist der blanke Knopf der böse Gott, den man verehren und anbeten muss, damit er sich nicht rächt.

Immer wieder lässt Traven seinen Seemann über Freiheit nachdenken bzw. lässt sie ihn leben, abseits kapitalistischer, nationalistischer oder kommunistischer Utopien, die er als Zerrbilder, Perversionen, geistige Käfige für die Massen entlarvt. Bisweilen wird er ätzend-sarkastisch, ganz selten kommt dabei auch Klartext heraus:

…Es ist so unerhört lächerlich, dass alle die Länder, die von sich behaupten, sie seien die freiesten Länder, in Wahrheit ihren Bewohnern die geringste Freiheit gewähren und sie das ganze Leben hindurch unter Vormundschaft halten. Verdächtig ist jedes Land, wo soviel von Freiheit geredet wird, die angeblich innerhalb seiner Grenzen zu finden sei. Und wenn ich bei einer Einfahrt in den Hafen eines großen Landes eine Riesenstatue der Freiheit sehe, so braucht mir niemand zu erzählen, was hinter der Statue los ist. Wo man so laut schreien muss: Wir sind ein Volk von freien Menschen! da will man nur die Tatsache verdecken, dass die Freiheit vor die Hunde gegangen ist oder dass sie von Hunderttausenden von Gesetzen, Verordnungen, Verfügungen, Anweisungen, Regelungen und Polizeiknüppeln so abgenagt worden ist, dass nur noch das Gesschrei, das Fanfarengeschmetter und die Freiheitsgöttinnen übriggeblieben sind…

Über Travens Identität besteht bis heute Unklarheit, woran er, der wohl in anarchistischen Kreisen verkehrte, selbst Interesse gehabt haben muss. Das Totenschiff (The Death Ship) erschien 1926 (wurde 1959 mit Horst Buchholz und Mario Adorf verfilmt). Die Story klingt jedoch nicht die Bohne antiquiert und die Einsichten des Seemanns, dessen Geschichte bis zu einem überraschenden Schluss erzählt wird, bleiben sicher noch für Jahrhunderte aktuell.

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