Alb

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Stippvisite bei C. auf der Schwäbischen Alb. Ein alter Bekannter aus dem IRC. Freund fast. Aber das darf ich seiner Ansicht nach vermutlich nicht sagen. Jemand wie ich kennt angeblich keine herzlichen Gefühle. Oder habe ich ihn falsch verstanden? Der Abend endete, wie jeder Abend bei C. endet – er besäuft sich hemmungslos und fängt an zu reden. Ein Mensch mit gefestigten Ansichten, großem Selbstbewusstsein sowie selbstgebautem sozialem und beruflichem Erfolg redet auf dich ein. Und er analysiert dich.
Einerseits war ich natürlich neugierig, wie er mich sieht. Wer möchte nicht wissen, wie er auf andere wirkt – zumindest insgeheim? Andererseits musste ich mich mit zunehmender Dauer des Gesprächs über vordergründige Auslegungen meines Verhaltens ärgern und war auch nicht grade begeistert darüber, dass er mir nahelegte, anders, also *wirklich* zu leben.
Vielleicht meint er damit das Neandertalerdasein, das man als gut verdienender, verheirateter Reihenhausbesitzer führt, wenn man Geld, Macht, Selbstbewusstsein und Konstitution besitzt, jeder Herausforderung zu widerstehen.
Irgendwie glaube ich aber, dass da mehr ist im Leben, dass es sich lohnt, sich Gedanken um Dinge zu machen, die er lächerlich findet. Dass es manchmal besser ist, nicht zu kämpfen, weil dadurch nur Zerstörung entsteht.

Klare Sache für ihn – so reden Loser daher. Eine billige Rechtfertigung dafür, dass man mit dem Leben nicht klarkommt und sich nicht durchsetzen kann.
Dann aber will ich wissen, wer mehr Rückgrat zeigt. Der, der sein früheres Sex-n-Drugs-n-Rock’n’Roll-Leben auf die Sicherheit gründete, dass ihm im Grunde nichts passieren konnte? Oder doch vielleicht der, der nüchtern und bei vollem Bewusstsein ohne Rücksicht auf Konsequenzen soziale und berufliche Brücken radikal hinter sich abbricht, um neu anzufangen?

Vielleicht hätte ich es nötig, mehr auf Menschen zuzugehen, mehr Nähe zu zeigen. Da mag er Recht haben. Aber ich nehme mir dafür Freiheiten, die sich nur wenige von uns erlauben. Die Freiheit zu denken was ich möchte. Meine Gedanken in die Tat umzusetzen. Mich nicht für andere zu verbiegen. Mich gegen Erwartungshaltungen zu stemmen. Das hat mich manchen Freund gekostet und praktisch die komplette Verwandtschaft.
Doch siehe da – ich bin noch hier, ich atme, ich lebe weiter. Und ich BIN. Ich bin ich, selbst wenn du mich in deiner grenzenlosen Selbstsicherheit nicht als liebende, lebende Person wahrnimmst. Scheu bin ich, ja. Reserviert aus gutem Grund. Linkisch, sicher. Aber ich sprenge Grenzen. Wieder und wieder. Ich bin ein Stehaufmännchen, ein Durchhalter, ein Dickschädel. Und auf meine ganz eigene Art habe ich Erfolg. Ohne Netz und doppelten Boden. Darauf bin ich mit Recht stolz.

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